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Tag der «Pille» Ist die Antibabypille Old School?

Die klinische Psychologin Ulrike Ehlert über Pillenmüdigkeit und weshalb man über Verhütung reden sollte.

Die Verhütung mit der klassischen Antibabypille ist seit Jahren rückläufig. Eine Forscherin hat gegenüber SRF kürzlich gesagt, die Antibabypille sei «Old School» – in fast 60 Jahren habe sich am Grundprinzip nichts geändert. Wir haben nachgefragt.

Ulrike Ehlert

Professorin für klinische Psychologie

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Ulrike Ehlert ist Professorin für klinische Psychologie an der Universität Zürich. Sie forscht zu Stress und weiblicher Reproduktion mit Fokus auf Hormone.

SRF News: Hat sich am Grundprinzip der Antibabypille in fast 60 Jahren tatsächlich nichts geändert?

Ulrike Ehlert: Das ist genau so: Durch die Gabe der Hormone Gestagen und Progesteron wird der Eisprung und somit eine mögliche Schwangerschaft verhindert. Old School ist die Pille insofern, als man gewisse Nachteile damit in Kauf nimmt. Praktisch gesehen aber war die Pille eine Riesenbefreiung für die Frauen, dadurch ihren Kinderwunsch selbst bestimmen zu können. Deswegen sollte man die Pille historisch als etwas sehr Wichtiges für die Frauen und ihre persönliche Entwicklung auffassen.

Sie reden von Nachteilen und sagten einmal «Niemand nimmt ungestraft Hormone.» Was ist die Strafe bei der Pille?

Sie hat gewisse Nebenwirkungen. Es können Blutgerinnungsstörungen auftreten, das Herzinfarktrisiko ist erhöht. Die Pille hat auch einen stimmungsverschlechternden Effekt, vor allem durch das enthaltene Progesteron.

Widersprüche beim Progesteron

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Progesteron ist ein Hormon, dessen Mechanismen gemäss Ulrike Ehlert noch weitgehend unerforscht sind. Dabei ist es mit Widersprüchen behaftet: Progesteron wirkt einerseits antidepressiv – es wird in der Geburtshilfe eingesetzt, als Mittel gegen die Wochenbettdepression. Anderseits hat es bei manchen Frauen in bestimmten Hirnregionen einen stimmungsdämpfenden Effekt. Forschende gehen davon aus, dass es bei Progesteron eine optimale Mittelmenge gibt, zu viel oder zu wenig davon jedoch schlecht ist. Ähnlich wie beim Alkohol: Eine kleine Menge wirkt anheiternd, wer jedoch über einen gewissen Punkt hinaus trinkt, kann todtraurig oder aggressiv werden.

Zudem erleben Frauen, die die Pille nehmen, keinen Östrogen-Peak, der im normalen Zyklus zum Zeitpunkt des Eisprungs auftritt. Das Ausbleiben dieses körpereigenen Hochs drückt bei Frauen nachgewiesenermassen auf die Libido. Umgekehrt hat eine Studie nachgewiesen, dass Frauen, die keine Pille nehmen, um den Eisprung als strahlender und attraktiver wahrgenommen werden.

Sind junge Frauen heute deswegen «pillenmüde»?

Die Pillenmüdigkeit ist ein Zeitgeistphänomen. Junge Frauen verstehen gar nicht, welches Problem es früher einmal war, dauernd Angst haben zu müssen, schwanger zu werden. Wenn diese Grundangst nicht vorhanden ist, dann hat niemand ein grosses Interesse, jeden Tag eine Hormondosis einzunehmen.

Schweizerinnen sind pillenmüde

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Die Verhütung mit der klassischen Antibabypille ist seit Jahren rückläufig. Die aktuellsten Zahlen stammen aus der Gesundheitsbefragung 2017 : In diesem Jahr nutzten 33 Prozent der verhütenden Frauen die Pille, 1992 waren es noch 52 Prozent gewesen. Der Trend sei anhaltend, heisst es bei der Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz. Ein Teil der «Pillenmüdigkeit» lasse sich dadurch erklären, dass junge Frauen auf andere hormonelle Verhütungsmethoden ausweichen: Vaginalring, Hormonpflaster oder -stäbli.

Wäre es an der Zeit, eine Antibabypille zu erforschen, die ganz anders funktionierte, als in den hormonellen Zyklus einzugreifen?

Man muss die Pille nicht neu denken, sondern sollte das ganze Spektrum von Verhütungsmöglichkeiten nutzen und entsprechend darüber aufklären, nicht nur junge Frauen, sondern auch Frauen im mittleren Lebensalter.

Finden Sie es richtig, die Pille gegen Menstruationsbeschwerden oder Akne zu verschreiben?

Wenn zum Beispiel die Akne durch ein Hormonungleichgewicht oder durch überschiessende Hormonfreisetzungen in einer bestimmten weiblichen Lebensphase bedingt ist, kann es sehr sinnvoll sein, den Zyklus mit der Pille zu harmonisieren. So gelingt es zum Beispiel, Hautveränderungen, die bei vielen Frauen vor der Mens auftreten, zu unterdrücken. Die Pille ist kein Teufelszeug. Die ärztliche Kunst besteht darin, sie im gesamten Spektrum von Verhütung und therapeutischen Anwendungen richtig einzuordnen.

In den USA hat die FDA im Juli eine rezeptfreie Minipille zugelassen. Angesichts des Abtreibungsverbots in den USA wollen die Behörden jungen Frauen den Zugang zur Schwangerschaftsverhütung erleichtern. Führen wir in der Schweiz eine Luxusdebatte?

Die USA kämpfen mit grossen sozialen Problemen: Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist schwierig, ein Pillenrezept zu bekommen für manche junge Frauen sehr aufwändig bis unmöglich. Insofern ist diese rezeptfreie Pille super. Probleme wie in den USA kennt die Schweiz nicht, trotzdem ist das Hinterfragen der Pille auch hier keine Luxusdebatte: Es ist wichtig, sich kritisch mit Verhütung auseinanderzusetzen.

Radio SRF 3, 18. August, 13.10 Uhr

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