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Glücksfresser Smartphone Kindheit ohne Handy: Bitter nötig oder am Ziel vorbei?

Handys sind Glückskiller für Kinder und Jugendliche. Davon sind immer mehr Eltern überzeugt und plädieren für eine smartphonefreie Kindheit. Doch ist das überhaupt noch möglich und sinnvoll? Zu Besuch bei einer Familie, die genau diesen Weg geht.

«Ehrlich gesagt, ist es schon ein bisschen Scheisse.» Samuel nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn man ihn danach fragt, wie es sich als Jugendlicher ohne Smartphone lebt.

Samuel ist 14. Wie viele Jungs in seinem Alter spielt er Fussball. In seinem Verein ist er der einzige ohne eigenes Telefon. Wenn er mit seinen Fussball-Kollegen über WhatsApp kommunizieren will, kann er das nur über das Smartphone seiner Eltern tun.

Was ist an Langeweile gut? Warum vermisst du es, dich zu langweilen?
Autor: Samuel 14-Jähriger ohne eigenes Handy

Die Eltern sind keine Technologie-Gegner. Aber sie sind überzeugt: Eine Kindheit ohne Smartphone ist besser für ihren Sohn. «Wir werden das Handy mit der Zeit nicht vermeiden können. Aber im Moment ist es gesünder so – für uns als Familie und für ihn», sagt Samuels Mutter.

Sein Vater fügt gleich an: «Das Telefon klaut dir die Aufmerksamkeit. Wir können kaum noch warten, wir können uns kaum noch langweilen.» Samuel unterbricht: «Aber was ist an Langeweile gut? Warum vermisst du es, dich zu langweilen?»

Solche Handy-Diskussionen wie heute beim gemeinsamen Zivieri kommen zwischen Samuel und seinen Eltern derzeit häufig vor. Aber auch in vielen anderen Schweizer Haushalten. Der Cyber-Sorgenmonitor Schweiz von 2025  zeigt: In jeder zweiten Familie sorgen Handys für Streit und es fällt Eltern schwer, gewisse Apps zu verbieten oder die Bildschirmzeit einzuschränken.

Entsprechend wünschen sich 80 Prozent ein Verbot von Sozialen Medien für unter 16-Jährige. Doch die Realität spricht eine andere Sprache: Praktisch alle Schweizer Jugendlichen ab 12 Jahren (99 Prozent) besitzen gemäss der JAMES-Studie 2024 ein eigenes Smartphone.

Gegen den digitalen Gruppenzwang

Will man seine Kinder ganz ohne Handy aufziehen, gehört man zu einer kleinen Minderheit. Und das macht diesen Weg so schwierig. Samuels Mutter hat sich deshalb einer Berner WhatsApp-Gruppe angeschlossen, in denen sich Eltern mit ähnlichen Anliegen austauschen und vernetzen. Ins Leben gerufen hat die Gruppe der Verein «Smartphone-freie Kindheit Schweiz».

Ab wann ist ein Smartphone sinnvoll?

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Kleiner Junge mit Handy im Bett
Legende: imago images / imagebroker

Fixe Alterslimiten werden von offiziellen Stellen und in der Forschung kaum genannt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt jedoch altersgerechte Regeln und verweist auf die sogenannte 3-6-9-12-Faustregel als Orientierungshilfe:

  • Kein Fernsehen unter 3 Jahren
  • Keine eigene Spielkonsole vor 6 Jahren
  • Internetnutzung ab 9 Jahren
  • Soziale Netzwerke ab 12 Jahren

Gemäss Pro Juventute sind nicht das Alter allein, sondern die persönliche Reife und Medienkompetenz des Kindes entscheidend. Weitere wichtige Punkte, die beachtet werden sollten:

  • Vor dem Kauf sollten Fragen zu Kosten, Nutzungsdauer, Datenschutz und Regeln gemeinsam besprochen werden.
  • Ein sanfter Einstieg, zum Beispiel mit einem Gerät ohne mobile Daten und nur mit WLAN-Verbindung, kann helfen, den Umgang zu lernen.
  • Altersgerechte Inhalte, Datenschutz-Einstellungen und technische Schutzmassnahmen sollten gemeinsam eingerichtet werden.

Kinder sollen wissen, dass sie bei Problemen nicht mit Strafen rechnen müssen, sondern sich für Hilfe an eine Vertrauensperson wenden können.

«Ich glaube, dass einige Eltern ihren Kindern ein Smartphone geben, nicht weil sie es wollen, sondern weil andere es tun – auch wenn sie sich selbst damit nicht wohlfühlen», sagt Alexandra Berchtold, Mutter und Mitgründerin des Vereins. 

Ähnliche Eltern-Initiativen werden in ganz Europa, ja sogar weltweit, immer häufiger. Ihre Forderungen: Kein eigenes Smartphone bis 14, kein Social Media bis 16, Smartphone-freie Schulen und mehr Freiheiten im realen Leben.

Entscheidet man sich als einzelne Familie für diesen Weg, kann sich ein Kind schnell ausgeschlossen fühlen. Deshalb brauche es «eine kritische Masse» von Familien, welche auf Smartphones und Social Media verzichten. «Ein kollektives Problem braucht kollektives Handeln – alleine ist es kaum möglich, ein Zeichen gegen den digitalen Gruppenzwang zu setzen», so Berchtold.

Wie gefährlich ist das Smartphone wirklich?

Depressive Symptome, Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, eine schlechtere psychosoziale Gesundheit, zu wenig Schlaf. Die Liste der gesundheitlichen Gefahren von Smartphones, welche der Verein auf seiner Website auflistet, ist lang. Und sie sind sicherlich nicht unbegründet.

Problematische Handynutzung – die Warnsignale

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Kritisch wird die Handynutzung dann, wenn das Gerät beginnt, den Alltag zu dominieren. Ein Warnsignal ist etwa, wenn Kinder oder Jugendliche das Handy kaum mehr aus der Hand legen können.

Weitere Hinweise auf problematischen Konsum sind:

  • Vernachlässigung von Schule, Hobbys oder sozialen Kontakten
  • Starke emotionale Reaktionen, wenn das Handy weggenommen wird
  • Schlafprobleme oder Konzentrationsschwierigkeiten
  • Zunehmender Konsum von immer extremeren Inhalten, um das gleiche Gefühl von Zufriedenheit zu erreichen

Wie gross die Auswirkungen tatsächlich sind, ist in der Wissenschaft allerdings umstritten. «Einige Studien deuten darauf hin, dass es negative Konsequenzen für das psychische Wohlbefinden gibt – es gibt aber auch Studien, welche diese nicht finden», fasst Eva Unternährer den aktuellen Wissensstand zusammen. Unternährer ist Psychologin und forscht an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zur Mediennutzung von Kindern und zum Einfluss des Medienkonsums in Familien.

Das Handy ist auch ein guter Sündenbock für Dinge, die Jugendliche oder Kinder sonst noch beschäftigen.
Autor: Eva Unternährer Psychologin

Wichtiger als ein Verbot sei es, die Kinder in der digitalen Welt zu begleiten und nicht alleine zu lassen: «Indem wir offen sind, was ihre Erfahrungen sind. Dass wir neugierig sind. Sie fragen, immer wieder fragen: Was für Erlebnisse hast du online?»

Unternährer warnt auch davor, dass die Fokussierung auf die Smartphone-Problematik von anderen Schwierigkeiten ablenken könnte: «Das Handy ist auch ein guter Sündenbock für Dinge, die Jugendliche oder Kinder sonst noch beschäftigen.»

Für Alexandra Berchtold bleibt jedoch klar: «Als Mutter sehe ich eine Gesellschaft, in der es schräg rüberkommt, wenn man einander beispielsweise im Bus anschaut. Jeder ist in seinem eigenen Film unterwegs.» Sie brauche keine 27 Studien, um zu erkennen, dass das keine Welt ist, in der Kinder psychisch gesund, innerlich stabil und selbstbestimmt aufwachsen können.

Beobachtungen, die viele Menschen teilen. Auch Samuels Eltern, die an ihrem eingeschlagenen Weg festhalten wollen – selbst wenn weitere Diskussionen mit ihrem Sohn vorprogrammiert sind. Zum Beispiel in Form von Handy-Verhandlungen.

Diskutieren und verhandeln

Samuel hat seinen Eltern eine Art Vertrag vorgeschlagen: Er soll ein Handy bekommen – allerdings nur mit einer Stunde Handyzeit pro Tag. Nur mit wenigen Apps wie WhatsApp und ohne Games. Für Samuels Mutter ist dies aber noch zu früh: «Probieren ist eine gefährliche Sache. Der Weg zurück ist schwieriger.» Energisch entgegnet Samuel: «Aber ich weiss ja, dass ich es schaffe!»

Verhandlungen wie diese werden wohl noch einige Zeit zwischen Samuel und seinen Eltern andauern. Und das ist möglicherweise auch gut so. Eva Unternährer betont: «Ich glaube, die Diskussion mit den Kindern zusammen, wie man das in der Familie gestalten will, ist wichtig. Es fällt ihnen dann tatsächlich leichter, sich an die Regeln zu halten, wenn man diese gemeinsam aufgestellt hat.»

Hilfreich & nützlich

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SRF 1, Puls, 25.08.2025, 21:05 Uhr

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