«Ich denke, sie erkennt mich nicht mehr», sagt André Argast, 75. Er besucht seine Frau Simone, 76, dreimal die Woche im «Vivocare», einer Demenzeinrichtung in Chiang Mai, im bergigen Norden Thailands. Selbst wohnt er in der Nachbarschaft, in einer Wohnanlage. Sein kleiner Bungalow kostet ihn 700 Franken im Monat.
Das Vivocare gehört Schweizer Investoren. In dem ehemaligen Hotel werden 32 Gäste, die an Demenz oder Parkinson leiden, gepflegt. Die Kosten betragen zwischen 2700 und 3000 Franken im Monat. Das Personal spricht Thai, Englisch und sogar etwas Deutsch. Die meisten Gäste kommen aus der Schweiz und Deutschland, vereinzelt auch aus den USA.
Falls die Demenzkranken von ihren gesunden Partnerinnen oder Partnern nach Thailand begleitet werden, kann ein Zimmer auch gemeinsam bezogen werden. Je nach Krankheitsverlauf bedeutet das eine ziemliche Zerreissprobe. Doris Knecht ist die Leiterin des Vivocare. Sie schlägt in solchen Fällen vor, dass die gesunden Betroffenen sich ein Haus ausserhalb mieten: «Denn nur so ist es möglich, dass sie wieder einen Schritt machen für sich selbst.»
Ein Schweizer Alzheimerdorf in Thailand
Von grossen Investoren-Einrichtungen wie dem Vivocare grenzt Martin Woodtli sich ab: «Ein solches Heimsystem kennt man ja aus der Schweiz. Deswegen habe ich mich für die Gründung eines Alzheimerdorfs entschieden.»
In Thailand gilt der Schweizer aus Münsingen bei Bern als «Demenz-Pionier». Weil er einst erfolglos für seine kranke Mutter Hilfe suchte, gründete er am Stadtrand von Chiang Mai ein Dorf für Menschen mit Alzheimer und anderen Demenzformen: das «Baan Kamlangchay». Es besteht aus einzelnen Wohn- und Gemeinschaftshäusern.
Das Angebot kostet 3800 Franken im Monat, egal, wie hoch der Pflegebedarf ist. Maximal 14 Gäste leben hier, alles ist sehr familiär. Bei gesundheitlichen Beschwerden schaut ein Hausarzt vorbei. Sollte eine Behandlung im Dorf nicht möglich sein, vertraut Martin Woodtli den öffentlichen und privaten Spitälern der Stadt: «Medizinisch sind wir so gut abgedeckt, dass wir uns voll und ganz auf die Pflege und die Aktivitäten mit unseren Gästen konzentrieren können.»
Falls gewünscht oder nötig, werden die Gäste im Baan Kamlangchay Tag und Nacht, rund um die Uhr, im Wechsel von drei Pflegerinnen betreut.
Mehr Zeit, weniger Medikamente
Fast alle Alterseinrichtungen in Thailand, die sich auf Demenzbetroffene aus dem Ausland spezialisiert haben, werben mit einer 24-Stunden-Pflege. Das ist möglich, weil das Personal günstiger ist als in westlichen Ländern.
Ein Demenzexperte aus Zürich, der namentlich nicht genannt werden will, erklärt: «Thailand bietet eine Rundum-Betreuung, von der man in der Schweiz nur träumen kann.» Auch werden weniger Antipsychotika eingesetzt, um Patientinnen und Patienten, die zu starker Getriebenheit oder Aggression neigten, zu beruhigen. Stattdessen gebe es Aufmerksamkeit und Zuwendung vom reichlich vorhandenen Pflegepersonal.
Wissen die Demenzbetroffenen eigentlich, dass sie im Ausland sind? Der Experte glaubt, dies sei eher nicht der Fall. Aber das komme vor allem auf den individuellen Verlauf der Krankheit an. Bewiesen sei jedoch, dass mit dem Verschwinden der persönlichen Identität auch die geografische Identität verloren gehe. Das lege die Vermutung nahe, dass die an Demenz erkrankten Menschen sich nicht bewusst seien, wo sie sind.
Thailand will ein Stück vom Kuchen
Das «Tranquila Elderly Care» in Chiang Mai ist ein Resort unter thailändischer Führung. Es handelt sich um ein Rehabilitationszentrum für gut situierte Thais. Ausländische Gäste sind erlaubt, wenn sie zuvor in Asien gelebt haben und mit der Kultur vertraut sind. Es gibt Angebote aus der Kurzzeit- und Langzeitpflege für rund 2400 Franken im Monat.
Unser Gesundheitssystem ist gut, das Personal nett und professionell.
Das Resort ist eine Ausnahme, denn in Thailand sind die meisten Wohn- und Pflegeangebote in ausländischer Hand. Doch das ändert sich. Die Langzeitpflege ist ein lukratives Geschäft. Davon wollen auch thailändische Anbieter in Zukunft profitieren. Was die mögliche Klientel betrifft, so hat man zum jetzigen Zeitpunkt vor allem zahlungskräftige Seniorinnen und Senioren aus Asien im Blick.
Dr. Nopporn Niwattananum ist der Direktor des Theppanya Hospital in Chiang Mai. Er ist überzeugt: «Thailand ist aus China, Japan oder Hongkong schnell zu erreichen.» Und was Menschen aus Europa, Australien oder den USA betrifft, hier müsse man Angebote schaffen, die besser auf westliche Bedürfnisse Rücksicht nehmen: «Aber ich bin sicher, viele werden kommen, auch aus der Schweiz. Unser Gesundheitssystem ist gut, das Personal nett und professionell. Wir sind vorbereitet.»
André Argast, der seine Frau im Vivocare in Chiang Mai pflegen lässt, lernte zuvor diverse Institutionen in Thailand kennen – wenn auch nicht freiwillig. In Phuket entschied er sich beispielsweise zunächst für ein Altersresort direkt am Meer, traumhaft unter Palmen: «Ich dachte: Toll, wenn unsere Kinder uns besuchen, dann ist das wie Ferien.»
Gepasst hat es nicht. «Du kannst noch so schön wohnen, wenn das Personal schlecht ausgebildet ist und sich keine Zeit nimmt, dann bringt das nichts.» Jetzt ist er zufrieden. «Die Pflegerinnen sind nett und haben Zeit. Und bald wird umgezogen in eine moderne und noch grössere Liegenschaft.»
Ich habe in der Schweiz abgeschlossen und werde meinen Lebensabend in Thailand verbringen. Auch wenn meine Frau nicht mehr da ist.
Wer sich für eine Demenz-Pflege in Thailand interessiert, sollte deshalb berücksichtigen: Für die Betroffenen ist es ein finaler Beschluss, denn zu einer Rückkehr in die Heimat kommt es so gut wie nie.
Auch für begleitende Angehörige bedeutet der Umzug ins Ausland eine neue Sprache, Kultur und fremde Umgebung. Und selbst nach dem Tod der Partnerin oder des Partners bleiben die meisten in der neuen Wahlheimat. André Argast meint dazu: «Ich habe in der Schweiz abgeschlossen und werde meinen Lebensabend in Thailand verbringen. Auch wenn meine Frau nicht mehr da ist.»
Es ergibt daher Sinn, sich für ein Altersangebot und einen Ort zu entscheiden, der sowohl für die Betroffenen als auch für die mit ihnen ausgewanderten Angehörigen passt. Die meisten Resorts bieten daher ein mehrmonatiges Probewohnen an.
Auch wenn die Akzeptanz mit den Jahren gestiegen ist, heisst es noch immer: ‹Jetzt schickst du diesen Menschen weit weg nach Thailand.›
Was sich nicht vermeiden lässt: Angehörigen, die ein Familienmitglied im Ausland pflegen lassen, wird oft vorgeworfen, diese Person abzuschieben.
Martin Woodtli, Leiter und Gründer des Alzheimerdorfs Baan Kamlanchay, bedauert dies: «Auch wenn die Akzeptanz mit den Jahren gestiegen ist, heisst es noch immer: ‹Jetzt schickst du diesen Menschen weit weg nach Thailand.› Dabei machen es sich die Leute mit ihren Entscheidungen nicht einfach.»
Zur Pflege nach Thailand? Die Weichen sind längst gestellt. Die Märkte für Alterspflege werden weltweit weiter boomen.
Natürlich wollen die meisten Menschen in der Nähe ihrer Familien und in der Heimat alt werden. Aber wenn einen Körper und Geist im Stich lassen, zählt jede Hilfe, egal ob in der Heimat oder im Ausland. Aber das Angebot muss passen: zu den individuellen pflegerischen Bedürfnissen und den finanziellen Möglichkeiten.