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1 Jahr #MeToo Warum die grosse Erschütterung bisher ausblieb

Seit einem Jahr beschäftigt uns #MeToo, mit wenig konkreten Folgen. Das liegt auch an der Dynamik von digitalem Protest.

#MeToo– dieser Hashtag schien vor einem Jahr ein Erdbeben loszutreten. Ein Artikel in der New York Times erhob schwere Vorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. Das löste eine Protestwelle in den sozialen Medien aus.

Der Hashtag #MeToo liess im letzten Herbst auf Twitter und Facebook sämtliche Seismographen anschlagen. Bis heute wurde der Hashtag weltweit millionenfach genutzt, um sexuelle Übergriffe öffentlich zu machen und Sexismus anzuprangern. (Eine Chronologie der Ereignisse folgt am Ende des Artikels.)

Viel Echo, wenig Erschütterung

Weit über Twitter und weit über Hollywood hinaus begann man über Geschlechterrollen und Machtgefälle zu sprechen. Hie und da zog die Debatte im letzten Jahr prominenten Beschuldigten den Boden unter den Füssen weg.

Doch in der Schweiz ist die grosse Erschütterung ausgeblieben. Diesen Eindruck zumindest gewinnt man, wenn man sich heute bei Schweizer Fachstellen und Expertinnen umhört.

Opferstellen und Polizei spüren kaum eine Veränderung, weder in der Zahl noch der Art der Anfragen und Anzeigen. Das Schweizer Gleichstellungsbüro (EBG) spricht von einer Reihe von aktuellen parlamentarischen Vorstössen und Kampagnen zum Thema sexuelle Gewalt. Doch inwiefern #MeToo ihnen den Boden bereitete, sei schwer zu sagen.

Dass #MeToo sich so weit ausbreiten konnte, ist typisch für digitale Proteste. «Onlineproteste sind dynamisch, schnell und können in kürzerster Zeit über nationale Grenzen viele Menschen anziehen», sagt die Soziologin Lea Stahel, die sich an der Universität Zürich mit diesen Dynamiken befasst. «Denn der Informationsfluss ist online theoretisch unbegrenzt.»

Medien spielen die entscheidende Rolle

Bei #MeToo waren ausserdem die Umstände günstig. Nachdem die Schauspielerin Alyssa Milano auf Twitter dazu aufrief, sexuelle Übergriffe öffentlich zu machen, meldeten sich in den sozialen Medien viele Promis zu Wort.

Lea Stahel

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Lea Stahel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am soziologischen Institut der Universität Zürich. Sie forscht zu Dynamiken von sozialen Netzwerken, insbesondere mit Online-Aggressionen und Shitstorms.

Ein entscheidender Faktor für den Sprung aus den sozialen Meiden: «Wenn Schauspielerinnen mit vielen Followers sich äussern, berichten auch die klassischen Medien eher darüber», sagt Stahel. «Ohne diese wäre es schwierig, einen Protest gross werden zu lassen.»

Soziale Normen verändern sich

Dass die Medien das Thema rasch aufgriffen, hatte Folgen: Viele Prominente wie der Schauspieler Kevin Spacey kosteten die Veröffentlichungen Gesicht, Karriere oder Amt – auch ohne Gerichtsurteil.

Solche sozialen Sanktionen sind laut der Soziologin Lea Stahel kurzfristige Folgen, wenn viele Menschen im Netz einen Missstand anprangern. Längerfristig können aber auch soziale Normen verändert werden.

Denn wenn Tabus aufgebrochen werden, setze das eine Spirale in Gang. «Menschen, die bisher schwiegen, merken, dass es sozial akzeptierter ist, sich zu äussern. Dass sie also nicht mit Sanktionen erwarten müssen, sondern mit Solidarität rechnen können», sagt Stahel.

«Kakophonie der Stimmen»

Die vielen #metoo-Stimmen haben also vor allem dafür gesorgt, dass die Dimensionen von sexueller Gewalt und Sexismus sichtbar wurden. Soziale Regeln und Umgangsformen wurden im Zug von #MeToo neu verhandelt.

Dass solche Veränderungen angestossen werden, sei der Vorteil der leicht zugänglichen Protestformen auf Twitter und Facebook, sagt Ulrich Dolata, der an der Universität Stuttgart zu kollektiven Bewegungen im Netz forscht.

Ulrich Dolata

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Ulrich Dolata ist Professor für Organisations- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Stuttgart. Er befasst sich u.a. mit Kollektivität und sozialen Bewegungen im Netz.

Doch diese Breite könne für ein Anliegen auch problematisch sein: «Es entsteht in den sozialen Medien eine Kakophonie der Stimmen. Die unterschiedliche Positionen sind nicht wirklich koordiniert und haben kaum eine gemeinsame Stossrichtung.»

Abseits der sozialen Medien

Hier kommen die sozialen Medien laut dem Protestforscher an ihre Grenzen. Auch #MeToo hat bisher kein konkretes Programm fehle, erklärt Dolata: «Ich habe den Eindruck, dass die Debatte stagniert. Sie hat zwar aufgeklärt und uns Übergriffe bewusst gemacht. Aber der nächste Schritt ist bislang ausgeblieben. Nämlich die Frage anzugehen, wie konkret patriarchale und sexistische Strukturen verändert werden können.»

Dazu sei nun «klassisches Offline-Geschäft» notwendig: Aktivistinnen müssten sich organisieren. Versuchen, die unterschiedlichen Stimmen in einem Programm unterzubringen und politische Forderungen aufstellen.

Das aber ist vielleicht – ein Jahr nach dem Weinstein-Skandal – noch eine Frage der Zeit.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 4.1.18, 17.10 Uhr

#MeToo: Eine kurze Chronologie

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Legende: Imago/AFLO

Der Hashtag

  • Am 5. Oktober 2017 erhob ein Artikel in der «New York Times» , kurz darauf ein zweiter Artikel im «New Yorker» , schwere Vorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. Laut den Recherchen soll er über Jahrzehnte Frauen in seinem Umfeld ausgenutzt, sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt haben.
  • Am 15. Oktober ruft die Schauspielerin Alyssa Milano auf Twitter dazu auf, eigene Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch öffentlich zu machen.
  • Dafür greift sie auf einen Hashtag zurück, den die Aktivistin Tarana Burke bereits 2006 verwendet hat: #MeToo, «ich auch».
  • Bereits am ersten Tag wird der Hashtag allein auf Twitter 200'000 Mal verwendet, am Tag darauf eine halbe Million Mal. Auch viele Hollywood-Stars und Promis äussern sich.

Die Beschuldigten

Die Debatte

  • Auch wenn Hollywood im Zentrum bleibt, erfasst die Debatte andere Branchen: Musik, Medien und Theater, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
  • Neben dem Publikmachen von Fällen sexuellen Missbrauchs, nutzen viele #MeToo auch, um Sexismus oder Ungerechtigkeit im Berufs- und im Privatleben sichtbar zu machen.

Die Würdigung

Die Kritik

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