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Abenteuer Ausbildung «Scheitern ist keine Schande!»: Was ein Lehrabbruch lehren kann

Knapp jede vierte Lehre wird vor Ende der regulären Lehrzeit beendet. Für alle Beteiligten sind das schwierige Momente. Die Geschichten von Celina Gerber und Bobby Korrodi zeigen aber: Ein Lehrabbruch kann auch Türen öffnen.

Wenn Celina Gerber nach einem Tag im Unterrichtszimmer Entspannung sucht, geht sie nach draussen. «Hier kann ich entspannen», sagt sie auf einem Spaziergang über den weiten Talboden ausserhalb von Maienfeld, GR. Hier, genauer im Nachbarort Landquart, hat Celina im September ihr Studium zur Physiotherapeutin begonnen. Es ist die dritte Ausbildung der 24-jährigen Baselbieterin. 

Lächelnde Person vor blühender Wiese und Bergen.
Legende: Celina Gerber wollte eigentlich ihre Leidenschaft zum Beruf machen – doch dann kam es anders. SRF/Michael Bolliger

Medizinische Grundkenntnisse hatte sie schon aus ihrer vorherigen Lehre zur «Fachfrau Bewegung und Gesundheitsförderung». Sport und Bewegung sind ihr auch privat wichtig. Mehrmals pro Woche trifft man Celina im Kraftraum, sie joggt und machte bis vor kurzem auch Geräteturnen.

«Ich will einen starken, gesunden Körper, das ist für mich die Grundlage für alles», erzählt sie. Das hat sicher auch mit den Erlebnissen in ihrer ersten Lehre zu tun, als dieser Körper plötzlich nicht mehr mitmachte. 

Die Leidenschaft zum Beruf machen 

Celina wuchs auf einem Bauernhof im Baselbiet auf. Von klein an waren Pferde ihre grosse Leidenschaft und mit 16 war klar: Sie will Bereiterin werden. In diesem Beruf lernt man die ganze Bandbreite der Arbeit mit Pferden, vom Umgang im Stall bis zum Training für Wettkämpfe im Springreiten oder in der Dressur. Auch als Reitlehrerin wäre Celina ausgebildet worden.

Wäre! Denn schon nach ein paar Monaten wurde klar, sie kann ihren Traum nicht verwirklichen. Eine ärztliche Begleitung wegen möglicher Wachstumsstörungen der Wirbelsäule hatte Celina schon als Kind. «Allerdings wurde mir nie von den Ärzten von dieser Lehre als Bereiterin abgeraten. Vielleicht hatten die Ärzte die körperlichen Belastungen des Berufs unterschätzt.» 

«Ich konnte mich nicht mehr bewegen vor Schmerzen» 

Auch möglich, dass Celina selber unterschätzte, wie stark ein Körper reagiert, wenn die Psyche leidet. «Meine Ausbildung absolvierte ich auf einem Hof, zwar im gleichen Kanton, aber es war klar, dass ich während der Woche dort wohnte», erzählt Celina. Das 16-jährige Mädchen litt unter dieser Trennung von zuhause, es ging ihr nicht gut.

Celina fühlte sich in der Familie des Lehrbetriebs nicht richtig wohl, hatte Heimweh – und die Schmerzen im Rücken wurden immer stärker. Und dann kam der Tag, an dem nichts mehr ging. «Es war ein Samstag, ich war bei einer Freundin zuhause, sass auf dem Sofa und konnte mich plötzlich vor Schmerzen nicht mehr bewegen.»

Es war einfach der falsche Zeitpunkt, es hat nicht gepasst.
Autor: Celina Gerber Physiotherapie-Studentin

Nach einer Woche im Spital erholte sich Celina zwar langsam, die Schmerzen wurden weniger, aber ihre Mutter sprach dann aus, was auch für Celina zur Gewissheit geworden war: «Das geht so nicht mehr.» Heute, acht Jahre später, will Celina niemandem die Schuld geben an der Situation. «Es war einfach der falsche Zeitpunkt, es hat nicht gepasst.»

Die meisten finden rasch eine Anschlusslösung

Derzeit sind rund 200‘000 Lernende in der Schweiz in einem Betrieb in der Ausbildung. Der weitaus grösste Teil dieser Ausbildungen sind EFZ-Lehren, werden mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis abgeschlossen. Statistisch werden knapp 25 Prozent, also nicht ganz ein Viertel, aller Lehrverhältnisse vor dem regulären Ende der Ausbildung beendet. Das zeigen die Zahlen des Bundesamts für Statistik.

Was aus den statistischen Zahlen des Bundes aber auch deutlich wird: Acht von zehn Lernenden, die ihre Lehre abbrechen, gehen nicht einfach aus dem Beruf, oder gar aus dem Berufsbildungssystem. Sie finden eine Abschlusslösung, häufig auch in der gleichen Branche, in dem sie ihre Lehre in einem neuen Betrieb fortsetzen.

Mit Youtube-Videos üben 

In diesem Punkt ist Celina, die ihre erste Lehre als Bereiterin abbrach und heute ein Physiotherapiestudium absolviert, also eher die Ausnahme. Mit zu diesen Ausnahmen gehört auch Bobby Korrodi, 27. Er lernt seit diesem Sommer Metallbauschlosser. Auch Bobbys beruflicher Ausbildungsweg begann vor einigen Jahren an einem völlig anderen Punkt.

Mann berührt Metallskulptur in Werkstatt.
Legende: Metallbauschlosser statt Applikationsentwickler: Für Bobby Korrodi bedeutete der Lehrabbruch eine schwierige Situation – in der er aber auch viel über sich selbst gelernt habe. SRF/Michael Bolliger

Er hatte mit 16 seine erste Lehre als Applikationsentwickler begonnen, fühlte sich aber schon nach wenigen Monaten überfordert. «In der Berufsschule hatte ich Kollegen, die in ihrem Betrieb die Schulaufgaben mit ihren Lehrmeistern übten», erzählt Bobby. Er dagegen war im Lehrbetrieb oft auf sich allein gestellt – und brachte sich die IT-Skills selbst mit Youtube-Videos bei.  

Dann wurde alles zu viel

Er sei, erzählt Bobby heute, damals sicher auch zu schüchtern gewesen, habe im Betrieb zu wenig um Unterstützung gefragt oder gar darauf gedrängt. Gleichzeitig war sein Lehrmeister auch nicht besonders kommunikativ.

«So hatte ich immer mehr das Gefühl, ich sei allein mit meinen Fragen und mit der Zeit hatte ich jeweils schon beim Einschlafen die Angst, am nächsten Tag wieder nicht weiter zu kommen bei einer Aufgabe.» Dazu kommt, dass Bobby damals intensiv Sport trieb, Handball und Boxen mit mehreren Trainings pro Woche.

Ich war einfach ausgebrannt.
Autor: Bobby Korrodi Metallbauschlosser-Lehrling

Am Wochenende hatte er Matches und ging vielleicht auch mal auf eine Party. Ziemlich schnell wurde alles zu viel. Zu viel Druck im Betrieb, zu wenig Erholungszeit privat. «Ich war einfach ausgebrannt», sagt Bobby. Er brach die Lehre mit dem Einverständnis der Eltern noch im ersten Lehrjahr ab.

Hätte es geholfen, wenn er damals mehr Ferien gehabt hätte in der Lehre, wie das eine aktuelle Petition vom Bundesrat fordert, zu der jetzt auch ein Vorstoss im Nationalrat eingereicht wurde? Aus heutiger Sicht findet Bobby das zumindest einen richtigen Ansatz.

Darum geht es in der Petition «Acht Wochen Ferien, statt fünf»

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Eine Petition mit rund 180’000 Unterschriften, koordiniert vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, wurde diesen Sommer dem Bundesrat überreicht. «Acht Wochen Ferien in der Lehre» fordert die Petition. Die Berufslehre sei in der Krise, heisst es unter anderem im offenen Brief an die Landesregierung. Mehr Ferien wären ein Zeichen der Anerkennung und Entlastung der Lernenden.

Im Nationalrat hat die Petition bereits aufgeschlagen. Ein überparteilicher Vorstoss für sechs Wochen Ferien wurde soeben in der Herbstsession eingereicht. Darin wird auch die psychische Gesundheit von Jugendlichen angesprochen, die es zu schützen gelte: «Zusätzliche Ferientage helfen, Belastungssituationen zu entschärfen.»

Eine Umfrage des Zentrums WorMed, zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz, unter 45’000 Jugendlichen zeigt, dass sich der grösste Teil der Lernenden zwar wohlfühlt im Lehrbetrieb, gleichzeitig geben 60 Prozent der Jugendlichen an, psychische Probleme würden durch die Lehre ausgelöst oder verstärkt.

Besonders der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt wird in dieser Umfrage von vielen als anspruchsvoll, gar auch belastend, empfunden. Die Umstellung von 13 auf fünf Wochen Ferien spielt dabei eine grosse Rolle.

Celina Gerber ist zögerlicher, meint aber auch, dass dies den Übergang von der Schulzeit zur Arbeitswelt für Jugendliche durchaus erleichtern könne. 

«Scheitern ist keine Schande»

Denn auch sie und Bobby Korrodi haben diesen Wechsel nach ihrer Schulzeit als happig empfunden. Wie denken sie heute über den Abbruch ihrer ersten Lehre? Beide sind sich einig, dass das zwar im Moment eine schwierige Situation war, sie sich aber damit versöhnen konnten.

Bobby sagt, er habe viel auch über sich selber gelernt seither: «Ich rede heute offener darüber, wenn ich ein Problem habe. Ich weiss jetzt, Scheitern ist keine Schande.» Celina stellt fest, bei den späteren Anstellungen habe nie jemand diesen Lehrabbruch angesprochen: «Das interessiert später keinen mehr.»

Du wirst gewappneter fürs Leben.
Autor: Celina Gerber Physiotherapie-Studentin

Ausserdem achtet sie mehr auf ihren Körper und sagt, dieser schwierige Moment damals habe sie auch innerlich stärker gemacht. «Wenn jetzt wieder mal eine Krise kommt, bringt dich das nicht mehr so schnell aus der Bahn. Du wirst eigentlich gewappneter fürs Leben.»

Nach dem Lehrabbruch ihrer ersten Lehre haben beide, Celina und Bobby, eine andere Lehre abgeschlossen und starten jetzt in ein neues Abenteuer. Beide sagen, dass sie heute glücklich sind mit ihrer beruflichen Situation, auch wenn sie bis dahin vielleicht einen längeren Weg hatten als andere.

SRF3, Input, 5.10.2025, 20:03 Uhr.

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