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Philosophisch durch den Alltag Gottesbeweise: Gott im Weinglas finden

Es ist die Gretchenfrage der Philosophie: «Gibt es Gott?» Den ultimativen Beweis gibt es zwar nicht – das ist aber auch nicht weiter schlimm, findet unsere Autorin.

Der Sommer scheint wahrlich nicht die beste Zeit, um über die Existenz Gottes nachzudenken. Zu frivol und wohlgestimmt scheint die Welt, um ihr einen solchen Gedanken aufzubrummen, um die Allegria gegen die Schwere der Gottesfrage einzutauschen.

Doch irgendwie lauert uns die Frage nach Gott immer wieder auf, wie Moskitos in einer Sommernacht. So sitze ich hier in Genua, wo sich in jeder noch so engen Gasse eine Madonnina zeigt, und denke mit beschlagenem Weissweinglas über Gott nach.

Olivia Röllin

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Olivia Röllin hat Religionswissenschaft und Philosophie in Zürich, München und Wien studiert. Seit 2019 moderiert sie die Sendung «Sternstunde Religion». Nebst Philosophie und Religion hegt sie eine Leidenschaft für Gesang und Theater sowie Malerei.

Weil es Mozart gab, muss es Gott geben

Kann man ihn wirklich beweisen, wie dies etwa Aristoteles, Thomas von Aquin oder René Descartes taten? Für manche mag das ein unsinniger Denksport sein. Andere finden, nur schon die Existenz eines Mozarts mache weitere Gottesbeweise überflüssig.

Ist das so? Kann man mit der Schönheit, ja mit der Vollkommenheit von Kunstwerken auf Gott schliessen? Oder: Kann man durch die Leiden in der Welt die Existenz Gottes gar widerlegen? Braucht es für sowas wie «Glauben» überhaupt Beweise oder schliessen sich Wissenschaft und Religion aus?

Illustration von zwei Menschen vor gelbem Hintergrund
Legende: «Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott!», sagte der Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg. SRF / Sandra Bayer

Ist der Glaube unvernünftig?

Der bedeutende Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg jedenfalls fasste dieses Verhältnis einst so zusammen: «Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott!»

Nun, diesen Becher wollen nicht alle austrinken. Tatsächlich gibt es gar Traditionen, die die vernunftgeleitete Beschäftigung mit Gott ablehnen, ganz nach dem Diktum: «Credo quia absurdum est»: Ich glaube, weil es unvernünftig ist.

Serie: Philosophisch durch den Alltag

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Wo die menschliche Vernunft endet

Sogenannte Irrationalisten sind sich einig, dass Menschen weder von Gott noch von der Welt hinreichende Erkenntnisse generieren können, also lassen sie das mit den Gottesbeweisen doch lieber ganz bleiben.

Aber auch Denker wie Immanuel Kant konkludierten, dass man Gott nicht beweisen könne. Gleichwohl befand er, dass man Gott auch nicht widerlegen könne. Und zwar, weil dieser sich durch seine Transzendenz unserer Vernunft schlicht entziehe. Geht es im Glauben also darum anzuerkennen, wo die Grenzen der menschlichen Vernunft sind?

Es gibt sie, die Gottesbeweise

Jedenfalls hat noch 2007 der renommierte deutsche Philosoph Robert Spaemann den, gemäss eigener Aussage, letzten Gottesbeweis publiziert. Spaemann zum Trotz wird gleichwohl bis heute, speziell im englischsprachigen Raum, an Gottesbeweisen gefeilt.

Aber nicht nur die Theologen und Philosophen beschäftigen sich mit der Gottesfrage. Auch der berühmte Mathematiker Kurt Gödel hat im 20. Jahrhundert als eine Weiterführung von Anselm von Canterbury einen Gottesbeweis formuliert, der bis dato nicht widerlegt ist.

Dennoch gibt es heute wohl keinen Gottesbeweis, der so schlüssig und von seinen Voraussetzungen so eindeutig wäre, dass sich alle darauf einigen könnten. Aber weshalb haben denn eigentlich die klassischen Gottesbeweise von Aristoteles bis Hegel ihre Beweiskraft verloren?

Gott ist vieles, aber nicht eindeutig

Sowohl Kant als auch Nietzsche zeigten auf, inwiefern solche Beweise Prämissen voraussetzten, die man im Grunde erst zugestehen muss. Bei Nietzsche geht es so weit, dass er die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft und damit auch solcher Beweisführungen generell bezweifelt.

Die Frage ist also: Ist nur real was wir auch mit Beweisen untermauern können? Ist Gott weniger real, weil es weder Eindeutigkeit, geschweige denn Einigkeit über ihn gibt? Welche Gründe für den Glauben an die Wirklichkeit Gottes lassen wir als einleuchtend stehen?

Was wartet am Boden meines Kelches?

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Selbst der grosse Kirchenlehrer Thomas von Aquin bezeichnete sein Schaffen angesichts einer mystischen Vision als Spreu. Davor lieferte er wohlbemerkt fünf Gottesbeweise und schrieb insgesamt tausende von Seiten.

So sitze ich hier weiterhin mit meinem Glas und denke: Es mag zwar vorkommen, aber es ist wohl noch selten jemand durch einen Gottesbeweis gläubig geworden. Intellektuell ungeniessbar sind sie trotzdem nicht. Denn auch wenn ich nicht weiss, was am Boden meines Kelches wartet, so ist mit den Spiegelungen meines Angesichts darin bestimmt noch nicht alles gesagt.

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