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Humanitäre Lage Gaza ist kein Gebiet mit Hungersnot mehr, aber Lage bleibt prekär

Laut einem Gremium der UNO ist der Gazastreifen nicht mehr ein Gebiet mit einer Hungersnot. Tausende Menschen sind jedoch immer noch unterernährt. Das führt zu schwerwiegenden medizinischen Komplikationen und hat Auswirkungen auf künftige Generationen.

Seit Mitte Oktober ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten ist, hat sich im Gazastreifen die Versorgung mit Hilfsgütern verbessert. Das berichten UNO-Beamte und regierungsunabhängige Organisationen (NGO). Auf einem international anerkannten Hunger-Monitor wird Gaza nicht mehr als Gebiet mit einer Hungersnot ausgewiesen.

Ein Händler auf einem Markt in Gaza-Stadt bietet frische Früchte an.
Legende: Auf einem Markt in Gaza-Stadt werden wieder frische Nahrungsmittel angeboten. Doch der Grossteil der palästinensischen Bevölkerung kann sie sich nicht leisten. KEYSTONE/ABDEL KAREEM HANA

Aber die Hilfslieferungen reichten nicht, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken. Israel behindere weiterhin die Lieferung von Nahrungsmitteln und medizinischen Produkten. Gemäss den Hilfsorganisationen sind die Mangelernährung, die Verbreitung von Krankheiten und das Ausmass der landwirtschaftlichen Zerstörung noch immer alarmierend hoch.

Gemäss dem jüngsten Hunger-Monitor (vgl. Box) sind im Gazastreifen mindestens 1.6 Millionen Menschen oder 77 Prozent der Bevölkerung akuter Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. 100'000 von ihnen sind Kinder und 37'000 schwangere und stillende Frauen.

Wie das Hunger-Monitor funktioniert

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Die IPC (Integrated Food Security Phase Classification) ist eine globale Initiative von UNO-Organisationen, Hilfsorganisationen und Regierungen. Sie ist das Hauptinstrument, das die internationale Gemeinschaft verwendet, um zu bestimmen, ob irgendwo eine Hungersnot herrscht.

Im Monitor werden Haushalte je nach Situation in fünf verschiedene sogenannte Phasen eingeteilt, wobei 5 die schlimmste ist. Eine Hungersnot wird in einem bestimmten Gebiet dann offiziell erklärt, wenn:

  • sich mindestens 20 Prozent der Haushalte in Phase 5 befinden;
  • mindestens 30 Prozent der Kinder an akuter Mangelernährung leiden;
  • es zwei Todesfälle pro 10'000 Einwohner pro Tag gibt oder vier Todesfälle von 10'000 Kindern, «aufgrund von direktem Verhungern oder der Wechselwirkung zwischen Mangelernährung und Krankheit».

Der Waffenstillstand, der am 10. Oktober in Kraft trat und der zwei Jahre Krieg zwischen der Hamas und Israel beendete, hatte vorgesehen, den Zustrom von Hilfsgütern nach Gaza erheblich zu steigern. Nach Angaben des UNO-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) werden aber Anträge für die Einfuhr verschiedener Arten von Hilfsgütern oft abgelehnt.

Hindernisse bleiben bestehen

«Es ist wichtig zu betonen, dass alle Fracht, die nach Gaza gelangt, (weiterhin) der Genehmigung durch die israelischen Behörden unterliegt», sagte OCHA-Sprecher Jens Laerke Anfang Dezember gegenüber Swissinfo, dem Online-Informationsdienst der SRG für die Schweizer Bevölkerung im Ausland. Laut OCHA erhielten im November nur 65 Prozent der Bevölkerung Gazas Nahrungsmittelhilfe.

Die israelische Militärbehörde, die Gazas Grenzübergänge kontrolliert, hat Behauptungen über vorsätzliche Hilfsbeschränkungen zurückgewiesen. Sie stimmten «nicht mit den Tatsachen vor Ort und der täglich stattfindenden laufenden Koordination» überein. Nach Angaben der Behörde gelangen täglich zwischen 600 und 800 Lastwagen mit humanitären Gütern nach Gaza.

Gemäss UNO-Organisationen überquerten aber in der ersten Dezemberwoche pro Tag nur durchschnittlich 140 Hilfskonvois die Grenze in den Gazastreifen. Ausserdem berichten Hilfsorganisationen, dass die meisten Güter, die nach Gaza gelassen werden, zum Verkauf auf Märkten landen und für den Grossteil der Bevölkerung zu teuer bleiben.

«Wir sehen immer noch, dass kommerzielle Lastwagen Vorrang haben vor humanitären Gütern», berichtet Franz Luef, Notfallkoordinator für Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Gazastreifen.

Fürs ganze Leben geprägt

Die andauernde Mangelernährung dürfte langfristig Auswirkungen auf die Bevölkerung haben. Laut MSF kann unzureichende Ernährung zu schwerwiegenden medizinischen Komplikationen wie Infektionen und verzögerter Wundheilung führen. Oft seien deswegen sogar Amputationen notwendig.

Mangelernährung ist auch mit chronischen Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck verbunden. MSF-Vertreter Luef: «Mangelernährung ist nicht nur ein kurzfristiger Notfall, sondern kann zu einem lebenslangen Kampf werden, besonders für Kinder.»

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Echo der Zeit, 23.12.2025, 18:00 Uhr

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