Auf Tiktok findet man unter #Roaccutane Tausende Videos mit beeindruckenden Vorher-Nachher-Fotos / -Videos von Gesichtern mit Akne. Sie soll dank des Medikaments Roaccutan mit seinem Wirkstoff Isotretinoin angeblich verschwinden.
Auf die heftigen Nebenwirkungen des Medikaments – Fehlbildungen des Fötus bei Schwangerschaft, depressive Verstimmungen oder Muskel-, Gelenk- und Rückenschmerzen – wird in diesen Videos hingegen weniger hingewiesen.
Das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS hat mit betroffenen Frauen über ihre Erfahrungen gesprochen.
In diesem Tiktok-Video wird für Roaccutan geworben:
Für eine Abtreibung entschieden
Nachdem sie alles versucht hatte, beschloss Lise Roaccutan einzunehmen. Zum Problem wurde es, als Lise, die auf natürlichem Weg kein Kind bekommen kann, schwanger wurde. Sorgen machte ihr die teratogene Wirkung (also die Fähigkeit, Entwicklungsanomalien beim Embryo zu verursachen) des Wirkstoffs von Roaccutan, auf die auch hingewiesen wird.
Zwei Betroffene reden über Roaccutan (mit deutschen Untertiteln)
Sie liess sich dann von ihrer Gynäkologin beraten, die ihr die Risiken von Fehlbildungen ihres Babys erläuterte. «Gemeinsam haben wir die Entscheidung getroffen, abzutreiben», erklärt Lise.
Das war vor zehn Jahren. Ihre Akne würde sie rückblickend mit natürlicheren Methoden behandeln, betont Lise. Sie sagt, sie wolle «Prävention für junge Menschen betreiben, denen zu leichtfertig die Einnahme dieses Medikaments vorgeschlagen wird».
Zunehmend verschrieben
Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass Lise kein Einzelfall ist. Anhand von Zahlen des Versicherers Helsana haben Forschende festgestellt, dass «in der Schweiz jedes Jahr etwa 30 Frauen kurz vor der Schwangerschaft und fast 10 Frauen im ersten Trimester Isotretinoin ausgesetzt sind». So steht es in der Studie.
Laut Helsana nehmen die Verschreibungen zu: In den letzten 10 Jahren sind sie von 107'000 auf über 140'000 pro Jahr gestiegen.
Laut Alice Panchaud, die zum Forschungsteam gehört, «liegt das Risiko von Fehlbildungen bei bis zu 30 Prozent». Sie befürchtet einen Anstieg der Fälle und erinnert daran, dass Roaccutan nur unter bestimmten strengen Bedingungen verschrieben werden sollte.
«Laut Swissmedic sollte es nur bei schwerer Akne und als allerletztes Mittel eingenommen werden, das heisst, nachdem alle anderen verfügbaren Behandlungen ausprobiert wurden», sagt die Professorin, die unter anderem an der Universität Bern arbeitet. In der Regel weisen Ärztinnen und Ärzte auf die teils starken Nebenwirkungen hin.
«Dunkle Gedanken»
Bei Amélie war das nicht so. Sie hat ihre Akne ebenfalls mit Roaccutan behandelt und findet, dass ihr das Medikament zu schnell verschrieben wurde. Sie habe vom Arzt lediglich ein Blatt mit den Nebenwirkungen erhalten. «Mit meinem Vater zusammen habe ich es unterschrieben, aber wir haben das nicht wirklich ernst genommen», erzählt sie gegenüber RTS.
Jedoch vertrug sie Roaccutan schlecht. Sie bekam depressive Gedanken, eine Nebenwirkung, die auf dem Beipackzettel als «selten» aufgeführt wird. Sie begann, sich selbst zu verletzen. Schnell entschieden sie und ihre Eltern, die Behandlung zu stoppen. Die Nebenwirkungen verschwanden.