Am Sonntag haben zwei Angreifer am berühmten Bondi Beach im australischen Sydney 15 Menschen umgebracht. Dass es nicht noch mehr Opfer gegeben hat, liegt am beherzten Eingreifen eines Passanten: Der Mann hat einen der Angreifer überwältigt und ihm sein Gewehr entrissen. Wir haben bei einer Expertin für Zivilcourage nachgefragt, was es braucht, dass jemand in solch einer Situation eingreift – und wann es gefährlich werden kann.
SRF: Ein Video zeigt, wie ein Mann einen der Attentäter packt und ihm die Waffe aus der Hand reisst. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das Video gesehen haben?
Melanie Wegel: Zuerst einmal habe ich es zu Ende geschaut, ob das auch gut ausging. Das war mutig von dem Mann, aber er hat sich selbst in eine Situation begeben, wo die Gefahr gross war, dass er selbst auch zum Opfer wird.
Der Moment der Entscheidung, einzugreifen: Geht das schnell oder zweifeln Menschen in solchen Situationen häufig?
In dem Moment war es mit Sicherheit eine Bauchentscheidung. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, gerade wenn Waffen im Spiel sind, ist einfach unglaublich hoch. Ich würde niemandem raten, genauso zu handeln. In dem Fall ist der Eigenschutz vorrangig und es gilt, die Polizei zu rufen.
Lässt sich sagen, wer im entscheidenden Moment eher einschreitet und wer vielleicht weniger?
Studien zur Zivilcourage gibt es so gut wie keine. Man kann da keine Aussagen treffen. Generell heisst Zivilcourage jemanden helfen, der in Not ist. Es können auch kleine Dinge sein. Da gibt es mit Sicherheit Menschen, die achtsamer unterwegs sind und Menschen, die eher wegschauen oder in nichts hineinkommen wollen. Und ich denke schon, dass das auch von der Persönlichkeitsstruktur abhängt.
Es gibt bestimmte Verhaltensweisen, die trainiert werden können.
Sie geben Kurse zum Thema Zivilcourage – kann man Zivilcourage trainieren?
Die kann man trainieren. Wir simulieren Gefahrensituationen und schauen, wie Menschen handeln. Und dann reflektieren wir diese Situation. Es gibt bestimmte Verhaltensweisen, die trainiert werden können, sodass man solche Situationen mindestens mal im Kopf durchgespielt hat und über ein bestimmtes Handlungsrepertoire verfügt.
Wenn Waffen im Spiel sind, ist es ein Sonderfall.
Wann ist denn eben nicht der Moment für Zivilcourage?
Wenn die Gefahr sehr gross ist, dass man sich selbst oder andere schädigt. Wenn man etwas sieht, sollte man handeln. Gleichzeitig kann es aber gefährlich sein, wenn man couragiert eingreifen will.
Wie wägen Sie in solchen Fällen ab?
Wenn Waffen im Spiel sind, ist es ein Sonderfall. Da würde ich wirklich dazu raten, Abstand zu halten und Hilfe zu holen.
Wenn Sie ein Rezept aufstellen müssten: Was braucht es, damit man Zivilcourage zeigt?
Aufmerksamkeit. Wir bekommen gar nicht so viel mit, wenn wir alle mit dem Handy im Tram sitzen oder in der Öffentlichkeit mit den Gedanken bei uns sind. Das fängt im Kleinen an, wenn beispielsweise eine obdachlose Person am Morgen bei Minusgraden irgendwo liegt. Da kann man schauen, ob die Person noch ansprechbar ist. Viele Menschen laufen da einfach vorbei und sind wenig achtsam. Und dann schauen, dass man nicht alleine ist, wenn man hilft. Dass man Hilfe aktivieren kann und andere in die Situation miteinbeziehen kann.
Das Gespräch führte Raphaël Günther.