Darum geht es: Vieles ist in der Medizin einfacher geworden, auch die Diagnostik. Wer krank ist, misst sich selbstverständlich selbst das Fieber. Es gibt aber mittlerweile zahlreiche weitere Diagnostika, die Patientinnen und Patienten selbst anwenden können. Darunter fallen etwa Schwangerschaftstests oder Corona-Selbsttests. Das hat einen regelrechten Do-it-yourself-Boom ausgelöst.
Hintergrund des Booms: Hauptgrund für den Boom seien die steigenden Gesundheitskosten, sagt Ian Parfrement, der bei Roche für die patientennahe Versorgung zuständig ist: «Die immer ältere Bevölkerung muss auch künftig optimal versorgt werden». Spitalaufenthalte sind teuer, darum wird zunehmend zu Hause behandelt. Das macht den Markt für Pharmaunternehmen wie Roche interessant. Die Pandemie hat dem Boom zusätzlichen Schub verliehen, weil es damals zentral war, dass sich mögliche Infizierte zu Hause selbst testen konnten. «Ein weiterer Grund liegt im Fachkräftemangel», sagt Parfrement. Bis 2030 fehlten schätzungsweise zehn Millionen Pflegekräfte weltweit. Der Do-it-yourself-Ansatz könnte dazu beitragen, die Situation zu entschärfen.
Wirtschaftliches Potenzial: Branchenexperten und -expertinnen gehen davon aus, dass sich der Markt der Selbsttests und der Pflege zu Hause in den nächsten zehn Jahren verdreifachen wird. Es locken Milliardenumsätze: Allein der Heimdiagnostikmarkt wird weltweit auf zehn Milliarden US-Dollar geschätzt.
Vorteil für Patientinnen und Patienten: «Viele Patientinnen und Patienten möchten lieber in der Nähe ihres Wohnorts oder sogar zu Hause behandelt werden als in einem Zentrumsspital», sagt Parfrement. Weil zudem die Infektionsgefahr zu Hause um ein Vielfaches geringer als im Spital ist und sich die Patienten und Patientinnen in ihrem gewohnten Umfeld mehr bewegen, erholen sie sich in der Regel auch schneller.
Wir mögen Heimlieferung.
Eine gesellschaftliche Entwicklung: Der Trend ist offenbar auch eingebettet in grössere gesellschaftliche Entwicklungen. Zum einen gehe es um «Bequemlichkeit», sagt Alexander Mirow, der beim Beratungsunternehmen Deloitte den Bereich Life Science leitet. «Wir mögen Heimlieferung, machen das auch anderswo im Konsum.» Zum anderen gebe es heute viele technologische Möglichkeiten, um gerade bei Medikamenten negative Effekte abzuschwächen. Beispielsweise können Fachpersonen Patienten und Patientinnen aus der Ferne eine genaue Anleitung geben, oder eine App kann bei der Überwachung der Körpertemperatur helfen.
Risiken und Nebenwirkungen: Do-it-yourself steigert die Selbstverantwortung der Patientinnen und Patienten. Daraus ergeben sich aber auch Risiken: Zwar ist vorgeschrieben, welche Medikamente selbst genommen werden dürfen und welche nicht, aber ob ein Medikament oder Selbsttest ohne das Beisein der Fachperson dann auch richtig genommen oder angewendet wird, das liegt an der betroffenen Person selbst.