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Abtreibungsrecht im Gegenwind «Auch jüngere Menschen sind vermehrt verunsichert»

Das hart erkämpfte Recht der Frauen, abtreiben zu dürfen, steht zunehmend unter Beschuss. Wieso, weiss Professorin Busch.

Abtreibungsgegner haben in zahlreichen europäischen Ländern Rückenwind. Ein Phänomen, das in den USA seit Jahren die Gemüter bewegt. Wieso das Pendel jetzt auch auf dem alten Kontinent zurückschlägt, weiss Ulrike Busch. Sie ist emeritierte Professorin für Familienplanung an der Universität im deutschen Merseburg.

Ulrike Busch

Professorin für Familienplanung

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Die studierte Philosophin Ulrike Busch ist emeritierte Professorin für Familienplanung an der Hochschule Merseburg. Sie ist Mitbegründerin des Familienplanungszentrums Berlin. Busch hat zahlreiche Bücher über Familienplanung und Abtreibungsrecht geschrieben.

SRF News: Wieso sind die von der Frauenbewegung in den vergangenen Jahrzehnten erkämpften Rechte jetzt wieder unter Beschuss?

Ulrike Busch: Es ist dies eine Gegenreaktion zur Liberalisierung, die sich seit den 1970er-Jahren bis heute vollzogen hat – erst vor einem Jahr schafften bekanntlich die Iren das Abtreibungsverbot ab. Das ruft diejenigen auf den Plan, die mit dieser Entwicklung nicht einverstanden sind. Dabei handelt es sich um politische Akteure, religiöse Kreise und aktivistische Organisationen wie Bürgerinitiatitven. Gerade letztere erreichen inzwischen vermehrt auch jüngere Menschen, die auf einer moralisch-ethischen Grundlage bei dem Thema verunsichert sind.

Das Thema Abtreibung wird als Besorgnis um die Frauen und die traditionelle Familie ‹vernutzt›.

Aufwind haben Abtreibungsgegner vor allem in Ländern wie Polen, Ungarn, Österreich oder Spanien. Wieso haben diese «Pro Life»-Bewegungen Aufwind?

Die Gegenreaktion ist dort am stärksten, wo entweder der Einfluss der katholischen Kirche besonders gross ist – wie etwa in Polen – oder rechtspopulistische und -konservative Kräfte die Politik beeinflussen. Gerade in der Politik wird das Thema Familie in besonderer Weise mit dem Thema Abtreibung verwoben. Es wird als Besorgnis um die Frauen und die traditionelle Familie «vernutzt», um die konservative Sache politisch voranzubringen.

Was bedeutet das stetige und in letzter Zeit verstärkte Hinterfragen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch für die Frauen?

Wenn diese Möglichkeit nicht zur Verfügung steht, müssen Frauen ungewollte Schwangerschaften austragen. Das hat für die betroffenen Frauen gravierende gesundheitliche und psychische Folgen. Für Frauen ist der Schwangerschaftsabbruch in vielen Lebenssituationen eine Chance, ihr Leben auf ihre Weise weiterleben und ihre Lebenspläne verfolgen zu können. Sie haben so auch die Möglichkeit, ein Kind dann zu bekommen, wenn die Umstände das zulassen.

Ungewollte Schwangerschaften austragen zu müssen, hat für Frauen gravierende Folgen.

Die Spannung, die objektiv im Thema Beendigung oder Fortsetzung von werdendem Leben liegt, kann auf gesellschaftlicher Ebene nur gehalten werden, wenn man respektvolle Bedingungen schafft. Frauen muss es möglich sein, eine angemessene Entscheidung treffen zu können.

Diese Rahmenbedingungen sind derzeit in vielen Ländern gegeben – sind sie auch genügend gefestigt?

Nein. So ist etwa in Deutschland Mitte der 1990er-Jahre der Abtreibungsparagraf 218 reformiert worden. Der seit 150 Jahren geltende Gesetzestext stellt die Abtreibung prinzipiell unter Strafe, lässt sie seit der Gesetzesanpassung unter bestimmten Umständen aber zu. Doch die Paragrafen 218 und 219 haben auch Fallstricke, die während Jahren – auch von feministischer Seite – kaum wahrgenommen wurden.

Ärztinnen werden in Deutschland angezeigt, weil sie sachlich über Schwangerschaftsabbruch informieren.

Diese Fallstricke werden immer deutlicher: So wurden deutsche Ärztinnen angezeigt und teilweise verurteilt, weil sie es sich erlaubt hatten, auf ihrer Homepage sachlich darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Es zeigt sich also, dass die Bedingungen, die auf der Oberfläche liberal erscheinen, im Detail Problematiken enthalten, die so nicht würdevoll gelöst werden können.

Das Gespräch führte Marc Allemann.

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