«Wir schaffen das!» Als Kanzlerin Angela Merkel diesen Satz in Berlin sagte, ging ein Ruck durchs Land. «Refugees welcome», Geflüchtete willkommen, stand 2015 an Hausmauern und auf Kapuzenpullovern. Deutschland fühlte mit den Menschen vor allem aus Syrien mit, öffnete sein Herz und seine Turnhallen. Politisch war Merkel klar: Wenn sie die Grenzen schliesst, kommt es in Europa zur Katastrophe, zu Chaos und Elend. Also kamen eine Million Menschen.
Die Menschen sind zornig über die Asyl-Bürokratie
«Wir schaffen das!» ist neun Jahre her – und von Zuversicht ist schon lange nichts mehr zu spüren. Bald schon sprach man statt von Willkommenskultur von einer «Herrschaft des Unrechts». Gemeinden und Ämter sind am Ende ihrer Kräfte, der Zustrom wurde zwar kleiner, aber es sind in den Augen vieler immer noch viel zu viele.
Das Messer-Attentat von Solingen mit drei Toten, begangen von einem abgewiesenen Asylbewerber aus Syrien, brachte das Fass zum Überlaufen. Als man erkannte, dass sich der Täter mit einem sehr einfachen Kniff der Ausschaffung entzog, wurde auch die Überforderung der Asyl-Bürokratie offenbar. Ins Entsetzen über den Anschlag mischte sich auch Zorn über den offensichtlichen Kollaps des ganzen Systems.
Thema nicht den Randparteien überlassen
In Ostdeutschland hat die Alternative für Deutschland (AfD) mit dem Thema Migration gerade Wahlen gewonnen – aber nicht nur die Wählerinnen und Wähler der extremen Rechten (und der extremen Linken) machen sich Sorgen – bis tief in die Mitte hinein finden Menschen: So geht es nicht mehr weiter.
Es dauerte lange, bis man das in der Berlin-Mitte-Bubble verstanden hat. Grösster Treiber ist die Angst der Scholz-SPD vor den nächsten Wahlen in Brandenburg in knapp zwei Wochen. Hier regiert (noch) die SPD – und die AfD steht vor einem weiteren Triumph.
Zudem machte auch CDU-Parteichef Friedrich Merz massiv Druck auf Scholz, jetzt etwas zu tun. Die Konservativen wollen das Thema ebenfalls nicht mehr den Parteien an den Rändern überlassen.
CDU scheitert mit Kernforderung
Merz, aller Voraussicht nach nächster Bundeskanzler, vollzieht damit den endgültigen Bruch mit der Merkel-CDU. Die Kanzlerin rückte die Partei in die Mitte, wie ein Staubsauger sog Merkel auch Themen tief im SPD- und Grünen-Revier auf – und schuf Platz gegen rechts und noch weiter rechts.
Nun zwang Merz die Ampel-Regierung an den Verhandlungstisch. Die SPD von Scholz und Koalitionspartnerin FDP konnten sich einen Deal mit der CDU im Prinzip vorstellen – die Grünen jedoch pochen auf das Recht jedes einzelnen, in Deutschland ein Asylgesuch zu stellen. Somit kommt es jetzt nicht zu umfassenden Zurückweisungen an der Grenze, der Kernforderung der CDU.
Damit ist der grosse Gipfel, die grosse Allianz von SPD, FDP, Grünen und CDU gegen die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht gescheitert. Die grosse Frage ist jetzt: Was wird sich ändern? Nicht viel, sagen die einen – genau das Gegenteil sagt Innenministerin Nancy Faeser.
Immerhin könnten Menschen, die in Deutschland kein Einreiserecht haben, in Haft genommen werden, bevor sie in die Erstaufnahmeländer zurückgeführt werden. Was dem geltenden EU-Recht entspricht.
Der Eindruck für die Bürgerinnen und Bürger aber verändert sich nicht: Das Thema Migration bleibt eine Baustelle. Eine wirksame Lösung, so hart sie auch gewesen wäre, wird vorerst nicht kommen. Oder in Anlehnung an Merkels Formel : «Wir schaffen das» – nicht mehr.