Die Coronapandemie ist in den USA ein Politikum. Die Frage, welches die richtigen Schutzmassnahmen im Kampf gegen das Virus sind, ist zunehmend eine politische und weniger eine wissenschaftliche. Wie sich das in Florida äussert, einem neuen Hotspot der Corona-Infektionen, schildert SRF-Korrespondent Matthias Kündig.
SRF News: Woran erkennt man die Epidemie, wenn man in Miami auf die Strasse geht?
Matthias Kündig: Mittlerweile trägt rund die Hälfte der Menschen in der Stadt eine Hygienemaske, zum Teil jedoch unter dem Kinn. Und das, obwohl eigentlich seit drei Wochen in der Öffentlichkeit eine generelle Maskentragepflicht gilt. Diese wird aber kaum durchgesetzt. Es gibt auch eine nächtliche Ausgangssperre ab 22 Uhr, aber Polizeikontrollen gibt es keine.
Maskentragepflicht und nächtliche Ausgangssperre werden kaum durchgesetzt.
Das Nacht- und Partyleben hat sich einfach in den privaten Raum zurückgezogen. Am Sonntagnachmittag habe ich in einem reichen Villenvorort von Miami gleich drei grosse Gartenpartys gesehen mit jeweils mehr als 50 Personen, die alle ohne Mundschutz gefeiert haben.
Haben die Leute denn keine Angst?
Die gibt es bestimmt, vor allem bei der älteren Generation. Doch vor allem herrscht hier in Miami Verwirrung und Verunsicherung. Vielen ist unklar, was gilt. Auch wissen nicht alle, welches Verhalten gefährlich sein kann.
Hier in Miami herrscht Verwirrung und Verunsicherung.
Es wird viel gespottet in der Art: «In New York haben sie die Menschen in ihre Häuser verbannt, als sie 10'000 Neuansteckungen pro Tag hatten – in Florida wurde Disneyland wiedereröffnet, als wir mehr als 10'000 Neuansteckungen erreichten.» Unklar ist auch, warum man im April zu Hause bleiben musste – bei täglich 3000 Neuansteckungen – und jetzt, bei 15'000, nicht.
Hängt es von der politischen Einstellung ab, ob man eine Maske trägt?
Ende Mai habe ich in einer kleinen Gemeinde in Zentralflorida einmal mit aufgesetzter Maske ein Restaurant betreten, so wie das vorgeschrieben ist. Ich wurde von unmaskierten Gästen empfangen mit den Worten: «look, another liberal» («schau, schon wieder so ein Linker»).
Laut Umfragen setzt ein Umdenken zum Maskentragen ein.
Für viele Republikaner, vor allem Trump-Anhänger, bedeutet die Maske ein politisches Zeichen gegen Trump. Maskenträger sind Weicheier und Angstmacher. Allerdings zeichnet sich hier laut Umfragen ein Umdenken ab: Mittlerweile befürwortet auch eine Mehrheit der Republikaner eine generelle Maskentragepflicht.
Florida ist von Gouverneur Ron DeSantis republikanisch regiert. Wie verhält er sich in der Corona-Krise?
Restriktionen erfolgen erst, wenn der Druck so gross ist, dass sie sich nicht mehr vermeiden lassen. Noch immer weigert sich DeSantis, eine generelle Maskentragepflicht für den gesamten Staat auszurufen. Auch veröffentlicht er nur selektive Zahlen: Wochenlang hat er sich geweigert, bekannt zu geben, wie viele Personen wegen Corona pro Tag neu in Spitalpflege müssen. Erst als verschiedene Medien dagegen klagten, rückte er mit den Zahlen heraus.
Es gibt einen Flickenteppich von Regeln und eine Kakophonie an Botschaften.
DeSantis orientiert sich zudem stark an den politischen Bedürfnissen von Präsident Donald Trump: Schulen und Wirtschaft vollständig öffnen, möglichst schnell zurück zur Normalität. Er agiert wie Trump und schiebt die Verantwortung auf die Bezirke und Städte ab. Daraus entsteht ein Flickenteppich von Regeln und eine Kakophonie der Botschaften. De facto galt zeitweise in gewissen Strassen auf der einen Strassenseite eine Maskenpflicht, auf der anderen Seite nicht.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.