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Desaster um Djokovics Tour «Jetzt steht Kroatien als Infektionsherd da»

Die abgesagte Adria-Tour von Tennisspieler Novak Djokovic ist ein totaler Reinfall. Sie hätte zeigen sollen, dass der Tourismus in Serbien und Kroatien willkommen und sicher ist. Jetzt wurden diverse Spieler positiv auf Corona getestet, auch Djokovic selber. Das Debakel habe auch politische Auswirkungen, sagt der Journalist Thomas Roser.

Thomas Roser

freier Journalist

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Thomas Roser berichtet seit 2007 für verschiedene deutschsprachige Medien aus Belgrad, unter ihnen die «Neue Zürcher Zeitung» oder Zeit Online.

SRF News: Wie sehr kommt der Skandal um die Adria-Tour für die Tourismusindustrie in der Region zur Unzeit?

Thomas Roser: Das Ganze ist ein totales Fiasko. Ein Viertel des kroatischen Bruttoinlandprodukts wird durch den Tourismus generiert. Es bestand eigentlich die Hoffnung, dass man im Juli und August einen Teil des Verlusts der vergangenen Monate wettmachen könnte. Doch jetzt steht Kroatien so da, als wäre das Land ein starker Corona-Infektionsherd.

Besteht die Befürchtung, dass sich auch Zuschauerinnen und Zuschauer angesteckt haben könnten? Bislang sind Infektionen ja erst von den Tennisstars bekannt.

Besorgt zeigen sich vor allem die Eltern jener Kinder, die sich mit den Tennisstars haben ablichten lassen. In Zadar werden jetzt viele Coronatests gemacht, bislang sind aber nicht viele Ansteckungen bekannt. Trotzdem wird befürchtet, dass die anwesende Prominenz und die Journalisten das Virus in andere Städte weitertragen könnten.

Als gäbe es keine Corona-Pandemie

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Bei der von Djokovic mitorganisierten Turnier-Serie waren mehrere Tennisspieler, darunter auch der Serbe Novak Djokovic selbst, positiv auf das Coronavirus getestet worden. Zuvor waren auf den Stationen in Belgrad und Zadar/Kroatien keine Hygieneregeln eingehalten worden: Die Hauptdarsteller traten auf, als mache das Virus an den Landesgrenzen Halt. Beim Fussball, beim Basketball, auf den Rängen oder beim Striptease in einem stickigen Klub: Abstand hielt hier niemand, auch nicht zu den zahlreichen jugendlichen Fans. Das alles wurde bestens dokumentiert. Inzwischen wurden die noch geplanten Veranstaltungen in Banja Luka und Sarajevo gestrichen. (Agenturen)

Bislang waren die Balkanstaaten ja glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen – offiziell, auf jeden Fall ...

Das stimmt tatsächlich für Kroatien – bekannt sind derzeit bloss 117 aktuelle Infektionsfälle, 16 Personen befinden sich im Spital. Doch in der ganzen Region rumort es ziemlich. So gehen die Fallzahlen etwa in Serbien wieder in die Höhe. Auch dort zogen die Tennisspieler bekanntlich durch die Discos. Steigende Infektionszahlen gibt es auch in Kosovo und Mazedonien.

Djokovic spielt auf dem Tennisplatz, dahinter die Zuschauerreihen.
Legende: Von den Zuschauern trug kaum jemand eine Gesichtsmaske während der Tennisspiele. Reuters

Ein Desaster fürs Tennis – und für Djokovic

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Legende: Reuters

Das Debakel um Djokovics Adria Tour komme in einem denkbar ungünstigen Moment, sagt SRF-Tennisspezialist Bernie Schär. «Eigentlich will man das internationale Tennis wieder hinauffahren – und jetzt dieser Rückschritt.» Djokovic habe zwar eine Million Dollar für Schutzmasken in Serbien gespendet und auch die Gage der Tour für Corona-Opfer zur Verfügung gestellt. Doch habe er nie ein Geheimnis aus seiner eigentümlichen Haltung gegenüber der Pandemie gemacht: «Djokovic wollte sich nicht testen lassen, er will sich nicht impfen lassen, auch kritisierte er die geplanten Schutzmassnahmen am US-Open», so Schär. Als Folge des Desasters könnten jetzt die Sicherheitsmassnahmen am US-Open und später in Roland Garros (Paris) nochmals verschärft werden. «Jetzt sind alle wachgerüttelt», bilanziert Schär. Für Djokovic selber könnte das Ganze ebenfalls Folgen haben. So werde er sich als kaum als Präsident des ATP-Spielerrats halten können, glaubt Schär. Und: «Hoffen wir, dass Djokovics Karriere nicht an dieser Dummheit zerbricht.»

Wie gehen die kroatischen Touristiker mit diesem PR-Desaster um?

In Kroatien gibt es eigens ein Tourismus-Ministerium – die Regierung muss das Fiasko jetzt also ausbaden. Dort wird beteuert, dass Kroatien ein sicheres Land sei und eigentlich nichts Grosses passiert sei.

Für den kroatischen Tourismus ist es ein Desaster.

Doch in Wirklichkeit ist es ein riesiges Desaster. Der Abbruch der Tour und die Nachrichten über die Infektionen ging um die Welt. Der negative Effekt dieser Adria-Tour ist wohl grösser, als er es im positivsten Fall jemals hätte sein können.

Plenković inmitten von Tennis-Zuschauern.
Legende: Kroatiens Premier Andrej Plenković (Mitte, stehend) machte die Adria-Tour zur Chefsache – entsprechend wird ihm nun das Fiasko auch angekreidet. imago images

Der Schuss ging auch für die Politiker nach hinten los. Könnte das Tour-Desaster einen Einfluss auf die Wahl in anderthalb Wochen haben?

Es ist sicher ein Rückschlag für Premier Andrej Plenković, der jetzt wohl um seine Wiederwahl bangen muss. Eigentlich wollte er als Sieger gegen die Pandemie in die Wahl gehen – tatsächlich war Kroatien ja gut durch die Krise gekommen. Doch Plenković machte die Adria-Tour zur Chefsache, liess sich mit den Spielern ablichten.

Dem Premier wird persönlich angekreidet, dass es zu diesen unverantwortlichen Vorkommnissen gekommen ist.

Obschon sein Corona-Test jetzt negativ war, fordern einige Medien, dass er seine Wahlkampftour durchs Land abbrechen und in die Quarantäne müsse. Sicher ist, dass es ihm persönlich angekreidet wird, dass diese unverantwortlichen Vorkommnisse passieren konnten.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

SRF 4 News aktuell vom 24.6.2020, 06.54 Uhr ; 

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