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Deutscher Rechtspopulismus «Wir können in Deutschland eine Rechtsverschiebung beobachten»

Wenn heute in Deutschland gewählt würde, käme die AfD, die Alternative für Deutschland, auf 19 Prozent der Stimmen. Sie wäre damit die zweitstärkste Partei in Deutschland. Das ergibt eine aktuelle Umfrage der ARD. Professor Schröder erklärt, woran das liegen könnte.

Wolfgang Schröder

Politologe

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Wolfgang Schröder ist Professor an der Universität in Kassel. Er lehrt und forscht auf dem Fachgebiet «Politisches System der Bundesrepublik Deutschland». Der Politologe gehört der Grundwertekommission der SPD an. Von 2009 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg.

SRF News: Was spielt sich in Deutschland ab?

Wolfgang Schröder: In diesen Umfragewerten drückt sich ein hohes Mass an Verunsicherung, an Unzufriedenheit aus. Diese Entwicklung korreliert auch mit einem hohen Mass an Pessimismus, was die weitere Entwicklung betrifft – im Angesicht von Krieg, von Inflation, von Transformationen, von Energieknappheit. Diese Unzufriedenheit führt allerdings nicht dazu, dass in überwältigender Weise für die oppositionelle CDU votiert wird, sondern ebenso für die AfD, sodass wir insgesamt, politisch betrachtet, eine Rechtsverschiebung in der Bundesrepublik beobachten können.

Das Potenzial für eine rechtspopulistische Partei in Deutschland liegt zwischen 15 und 25 Prozent, je nachdem, wie die Konjunktur ist.

19 Prozent der Stimmen, das ist das stärkste Umfrageergebnis der AfD bisher. Da kann man nicht mehr von einem Phänomen reden, das vor allem im Osten Deutschlands auftritt. Was ist Ihre Interpretation?

Bei denen, die AfD unterstützen, muss man unterscheiden zwischen den sogenannten Stammwählern, die die AfD als die einzig richtige Partei sehen, weil sie einfach gegen die Regierung ist und gegen das, was das politische System zu bieten hat. Es gibt andererseits aber auch einen erheblichen Teil der Menschen, der mit der Lage unzufrieden ist, die er sieht, und auch unzufrieden ist mit der Art und Weise, wie die Regierung regiert. Das Potenzial für eine rechtspopulistische Partei in Deutschland liegt zwischen 15 und 25 Prozent, je nachdem, wie die Konjunktur ist.

Ein Plakat: 10 Jahre AfD
Legende: «Die AfD ist ein Flugzeugträger für die Unzufriedenheit in dieser Republik», sagt Professor Wolfgang Schröder Reuters/Kai Pfaffenbach

Es sind nicht nur die Fehler der Ampel-Koalition?

Nein. Die AfD ist ein Flugzeugträger für die Unzufriedenheit in dieser Republik, für das «Dagegensein». Immer mehr Menschen haben keine Probleme, für diese Organisation zu votieren, obwohl sie durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistisch klassifiziert wird. Diese Normalisierung in Richtung Rechts ist nicht einfach für das politische System.

Es gab noch nie eine Regierung in Deutschland, die gleichzeitig so viele Herausforderungen zu bewältigen hatte. Und dies ist eine Regierung, die disparat zusammengesetzt ist – von Grün bis FDP.

Wir müssen davon ausgehen, dass die Herausforderungen durch die Transformation, auch aufgrund des Klimawandels, doch klare Anforderungen an die politischen Akteure setzen. Und diese Anforderungen können nicht einfach mit der Gegenposition beantwortet werden. Aber das Ergebnis der AfD muss allen zum Nachdenken gereichen, die sich Gedanken um die Zukunft machen. Wir haben es auch mit gesellschaftlichen Widersprüchen zu tun und auch mit konjunkturellen Unzufriedenheiten. Und das muss man auch ein Stück weit auseinanderhalten.

Wie nimmt man in dieser Situation die Besorgten und Unzufriedenen am ehesten mit?

Das wird man nicht können. Man muss auf jeden Fall gute Beteiligungsverfahren haben und gut regieren, gut aufklären. Insofern kann die Regierung natürlich einen Beitrag leisten. Man muss aber berücksichtigen: Es gab noch nie eine Regierung in Deutschland, die gleichzeitig so viele Herausforderungen zu bewältigen hatte. Und dies ist eine Regierung, die disparat zusammengesetzt ist – von Grün bis FDP. Das ist eine neue Lage.

Da muss man auch die Resilienz des Systems als Ausgangspunkt nehmen. Das heisst, man muss ein Stück weit Ruhe bewahren, um die Dinge dann in einen Korridor zu bringen, der am Ende dann doch eine gute Ausgangsbasis ist, um die grossen Herausforderungen zu bewältigen.

 Das Gespräch führte Ivana Pribakovich.

Rendez-vous. 23.06.2023, 12:30 Uhr ; 

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