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Diskussion um AfD-Gutachten Demokratie-Forscher zu AfD: «Für mich ist die rote Linie: Gewalt»

Der deutsche Verfassungsschutz kam kürzlich in einem Gutachten zum Schluss, die Partei Alternative für Deutschland (AfD) sei «gesichert rechtsextremistisch». Die Partei hat gegen diese Einstufung geklagt. Bis ein Urteil vorliegt, beschränkt sich der deutsche Verfassungsschutz auf die Formulierung, die AfD sei «ein Verdachtsfall». Das Gutachten des Verfassungsschutzes wurde bislang unter Verschluss gehalten. Doch nun haben Medien das Dokument ins Netz gestellt. So lässt sich die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz besser nachvollziehen. Der deutsche Demokratie-Forscher Wolfgang Merkel spricht über die Qualifizierung des Gutachtens.

Wolfgang Merkel

Emeritierter Professor für Politikwissenschaften

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Merkel war Profosser für Politikwissenschaften an mehreren Universitäten weltweit. Seine Verdienste liegen in der vergleichenden Forschung zu Demokratisierungsprozessen, Systemwechseln und Systemzusammenbrüchen. Er ist Verfasser des Werks: Im Zwielicht. Zerbrechlichkeit und Resizlienz der Demokratie im 21. Jahrhundert.

SRF News: Was versteht man unter «gesichert rechtsextrem»?

Wolfgang Merkel: Zunächst: Als Politikwissenschaftler graut es einem, wenn man «gesichert» hört. Alles muss falsifiziert werden können. Das ist eine wichtige Säule der Wissenschaftstheorie. Ein weiteres Problem: Es gibt keine echte Definition, was rechtsextrem ist und was die rote Linie ist, die rechtsextrem von rechtskonservativ – zum Beispiel – trennt. Da gibt es auch in der Parteienforschung keineswegs Einigkeit. Also beides sind hochproblematische Begriffe.

Hier wird zu 20 Prozent des Volkes gesagt: ‹Ihr seid auf einem politischen Irrweg›.»

Welche Kriterien würden Sie denn anwenden, um die Partei zu qualifizieren?

Ich würde schauen, wie die Partei zu wichtigen Fragen des deutschen Grundgesetzes steht. Und ich würde sagen: Ich prüfe nach, ob das eine verfassungsfeindliche oder eine verfassungsneutrale Partei ist. Ich bin der Meinung, das ist eine hochproblematische Partei. Sie hat in der Führung eindeutig rassistische, fremdenfeindliche Züge. Aber man muss in Rechnung stellen, dass diese Partei von 20 Prozent des Volkes gewählt wird.

Im Hintergrund eine grosse Leuchtschrift AfD, im Vordergrund viele erhobene Hände mit Stimmzetteln
Legende: Delgierte der AfD stimmen beim Landesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt ab. Keystone/Peter Gercke

Und wir haben schon in der Schule gelernt: Das Volk ist die letzte Instanz, die die letzte Legitimation zu geben hat. Hier wird zu 20 Prozent des Volkes gesagt: «Ihr seid auf einem politischen Irrweg, euch untersagen wir – das kann nur das Bundesverfassungsgericht –, diese Partei zu wählen.» Das ist eine illiberale Einschränkung des demokratischen Pluralismus.

Für mich ist die rote Linie: Gewalt.

Wo ziehen Sie eine rote Linie mit Blick auf eine Zusammenarbeit mit der AfD?

Ich sage nicht eine Zusammenarbeit. Ich bin nicht für Koalitionen. Ich bin aber auch nicht für hysterisch bewachte Brandmauern. Die taugen nämlich nichts. Für mich ist die rote Linie: Gewalt. In dem Moment, in dem diese Partei oder ihr anhängende Organisationen diese rote Linie überschreiten, soll ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden. Ich beziehe mich dabei übrigens auf einen der berühmtesten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts: Hans Kelsen. Er sagt klar, dass Parteienverbote undemokratisch sind. Wenn Demokratien sich auf diesen undemokratischen Weg begeben, sind sie auf einer abschüssigen Ebene, wo die Demokratie sich selbst ad absurdum führt.

Was ist die Theorie von Hans Kelsen?

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«Die Reine Rechtslehre von Hans Kelsen (1881-1973) hat wie kaum eine andere juristische Theorie weltweit Beachtung gefunden. Kelsen gilt als der bedeutendste Vertreter des sogenannten Rechtspositivismus des 20. Jahrhundert. Er befasste sich als Wissenschaftler jedoch nicht nur mit Rechtstheorie, sondern auch mit Verfassungs- und Völkerrecht. Daneben setzte er sich ein Leben lang in ideologiekritischen Arbeiten mit verschiedenen Gerechtigkeits- und Naturrechtslehren, mit politischen Theorien (Demokratie, Sozialismus, Bolschewismus etc.) und mit soziologischen Fragen auseinander. Sein breites Betätigungsfeld und seine Wirkung haben ihm den Ehrentitel ‹Jurist des Jahrhunderts› eingebracht.» Quelle: rechtsjuristische Fakultät der Universität Zürich. Den ganzen Aufsatz finden Sie hier.

Antidemokratische Äusserungen sind erlaubt, Gewalt aber nicht. Ist das Ihre Definition?

Das würde ich sagen. Darüber müssen wir streiten, darüber müssen wir debattieren. Und wir müssen auch sehen, was genau antidemokratische Äusserungen sind. Keine Frage, dass Rechtsaussenpolitiker wie etwa Herr Höcke so mit der Sprache in eine Art von faschistischer Sprachprovokation herumzündelt. Das ist nicht zu akzeptieren von uns, von der Gesellschaft. Das müssen wir kritisieren, das sollen auch die Medien kritisieren dürfen und die Politiker. Aber verbieten wird man das so schnell nicht.

Echo der Zeit, 15.5.2025, 18 Uhr ; 

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