Der deutsche Verfassungsschutz kam kürzlich in einem Gutachten zum Schluss, die Partei Alternative für Deutschland (AfD) sei «gesichert rechtsextremistisch». Die Partei hat gegen diese Einstufung geklagt. Bis ein Urteil vorliegt, beschränkt sich der deutsche Verfassungsschutz auf die Formulierung, die AfD sei «ein Verdachtsfall». Das Gutachten des Verfassungsschutzes wurde bislang unter Verschluss gehalten. Doch nun haben Medien das Dokument ins Netz gestellt. So lässt sich die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz besser nachvollziehen. Der deutsche Demokratie-Forscher Wolfgang Merkel spricht über die Qualifizierung des Gutachtens.
SRF News: Was versteht man unter «gesichert rechtsextrem»?
Wolfgang Merkel: Zunächst: Als Politikwissenschaftler graut es einem, wenn man «gesichert» hört. Alles muss falsifiziert werden können. Das ist eine wichtige Säule der Wissenschaftstheorie. Ein weiteres Problem: Es gibt keine echte Definition, was rechtsextrem ist und was die rote Linie ist, die rechtsextrem von rechtskonservativ – zum Beispiel – trennt. Da gibt es auch in der Parteienforschung keineswegs Einigkeit. Also beides sind hochproblematische Begriffe.
Hier wird zu 20 Prozent des Volkes gesagt: ‹Ihr seid auf einem politischen Irrweg›.»
Welche Kriterien würden Sie denn anwenden, um die Partei zu qualifizieren?
Ich würde schauen, wie die Partei zu wichtigen Fragen des deutschen Grundgesetzes steht. Und ich würde sagen: Ich prüfe nach, ob das eine verfassungsfeindliche oder eine verfassungsneutrale Partei ist. Ich bin der Meinung, das ist eine hochproblematische Partei. Sie hat in der Führung eindeutig rassistische, fremdenfeindliche Züge. Aber man muss in Rechnung stellen, dass diese Partei von 20 Prozent des Volkes gewählt wird.
Und wir haben schon in der Schule gelernt: Das Volk ist die letzte Instanz, die die letzte Legitimation zu geben hat. Hier wird zu 20 Prozent des Volkes gesagt: «Ihr seid auf einem politischen Irrweg, euch untersagen wir – das kann nur das Bundesverfassungsgericht –, diese Partei zu wählen.» Das ist eine illiberale Einschränkung des demokratischen Pluralismus.
Für mich ist die rote Linie: Gewalt.
Wo ziehen Sie eine rote Linie mit Blick auf eine Zusammenarbeit mit der AfD?
Ich sage nicht eine Zusammenarbeit. Ich bin nicht für Koalitionen. Ich bin aber auch nicht für hysterisch bewachte Brandmauern. Die taugen nämlich nichts. Für mich ist die rote Linie: Gewalt. In dem Moment, in dem diese Partei oder ihr anhängende Organisationen diese rote Linie überschreiten, soll ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden. Ich beziehe mich dabei übrigens auf einen der berühmtesten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts: Hans Kelsen. Er sagt klar, dass Parteienverbote undemokratisch sind. Wenn Demokratien sich auf diesen undemokratischen Weg begeben, sind sie auf einer abschüssigen Ebene, wo die Demokratie sich selbst ad absurdum führt.
Antidemokratische Äusserungen sind erlaubt, Gewalt aber nicht. Ist das Ihre Definition?
Das würde ich sagen. Darüber müssen wir streiten, darüber müssen wir debattieren. Und wir müssen auch sehen, was genau antidemokratische Äusserungen sind. Keine Frage, dass Rechtsaussenpolitiker wie etwa Herr Höcke so mit der Sprache in eine Art von faschistischer Sprachprovokation herumzündelt. Das ist nicht zu akzeptieren von uns, von der Gesellschaft. Das müssen wir kritisieren, das sollen auch die Medien kritisieren dürfen und die Politiker. Aber verbieten wird man das so schnell nicht.