Die Hoffnung ist zurückgekehrt in Syrien. Die neue Regierung hat es geschafft, das Land aus der Isolation zu holen. Doch überwiegen auch ein Jahr nach dem Machtwechsel die Herausforderungen.
Der 8. Dezember wurde als offizieller Feiertag in Syrien anerkannt. Denn an diesem Tag vor einem Jahr stürzten Rebellen aus dem Norden das über 50-jährige Assad-Regime. Der Jahrestag ist Grund genug zum Feiern in Damaskus und in anderen Städten Syriens. Doch was hat die neue Regierung von Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa erreicht?
Internationale Erfolge, wirtschaftliche Stagnation
Erfolgreich war die neue Regierung vor allem international. Al-Sharaa, einst ein gesuchter Terrorist, hat es geschafft, sich innerhalb von nur einem Jahr zu rehabilitieren und das Land aus der Isolation zu befreien. Auf Reisen in dreizehn Länder wurde er unter anderem von seinen alten Feinden empfangen: von Russlands Präsident Wladimir Putin und von Donald Trump im Weissen Haus.
Sein zentralstes Anliegen jedoch, die Aufhebung der internationalen Sanktionen, konnte er nur teilweise durchsetzen. Vor allem den weitgreifenden US-Sanktionen wurde lediglich eine mehrmonatige Aussetzung gewährt, was grosse und langfristige Investitionen in das Land hemmt. Zwar haben Saudi-Arabien, Katar und die Türkei bereits in Syrien investiert, doch konnten sie die Wirtschaft nicht merklich ankurbeln. Die Arbeitslosigkeit ist auch im «neuen Syrien» hoch und die Stromversorgung selbst in Damaskus spärlich.
Mangelnde Demokratie, neue Gewalt
Im «neuen Syrien» hat die Bevölkerung erstmals die Möglichkeit, sich öffentlich zu Nöten und Bedürfnissen zu äussern – undenkbar noch während der Assad-Ära. Doch die Parlamentswahlen im September stellten sich als wenig inklusiv heraus. Der Anteil der Frauen und Minderheiten im neu gewählten Parlament ist gering. Die meisten politischen Entscheide werden auch heute noch von einem kleinen Gremium der einstigen Rebellenführung beschlossen.
Diese liess das Aufflammen verschiedener Gewaltwellen im Land gewähren. Angehörige der Alawiten, der Glaubensgemeinschaft, der auch die Assads angehören, wurden im März Teil von brutalen Racheakten, bei denen Hunderte Zivilisten getötet wurden. Im Sommer eskalierte die Gewalt in der drusischen Provinz Suweida, wo es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam. Die neue Führung in Damaskus war zu keinem Zeitpunkt in der Lage – oder gewillt –, die Gewalt einzudämmen. Ahmed al-Sharaa sitzt offensichtlich nicht genug fest im Sattel, um gegen besonders radikale Teile seiner Gefolgschaft vorzugehen. Dies fördert das Misstrauen unter den Minderheiten.
Äussere Einmischung, innere Spaltung
Die Instabilität wird durch ausländische Interventionen verschärft. Israel greift Ziele in Syrien an und betrachtet die Regierung als Stellvertreter der Türkei. Die Türkei wiederum stellt sich als Schutzmacht der neuen Regierung dar und hat nach dem Machtwechsel an Einfluss gewonnen – wirtschaftlich und militärisch. Dies wiederum beunruhigt die Kurden im Nordwesten, die während des Krieges eine eigene Autonomie aufgebaut haben. Verhandlungen über ihre Integration in den neuen Staat sind ins Stocken geraten.
Ein Jahr ist nicht viel Zeit. Doch nach den Erfolgen im Ausland muss die Regierung nun handfeste innenpolitische Fortschritte erzielen: Die Wirtschaft muss angekurbelt, der Sicherheitssektor reformiert und die Minderheiten integriert werden, um weitere Gewalt zu verhindern und Legitimität zu schaffen.