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Eskalation im Nahen Osten «9/11» hängt wie ein Schatten über den Ereignissen in Nahost

Nach den Anschlägen der palästinensischen Terrororganisation Hamas gegen Israel zogen israelische Politikerinnen und Politiker Vergleiche mit der amerikanischen Geschichte. Sie verglichen die Anschläge vom 7. Oktober mit «9/11», also jenen gegen die USA vor 22 Jahren. Und sie verglichen Hamas mit der Terrororganisation Islamischer Staat (IS): Hamas im Gazastreifen müsse jetzt besiegt werden, wie die USA und ihre Verbündeten einst den IS in Irak und anderswo besiegt hätten.

Diese historischen Parallelen sind tatsächlich ein Grund für die Solidaritätsbekundungen der USA. Sie sind aber auch ein Grund, weshalb die Regierung von Präsident Joe Biden mit Ägypten, Katar und anderen muslimischen Staaten unter Hochdruck nach diplomatischen Lösungen sucht – und Israel beim Antiterrorkampf gegen die Hamas zur Zurückhaltung mahnt.

Stimmung kippte gegen die USA

Denn «9/11» hängt wie ein Schatten über den Ereignissen in Nahost. Auch damals, im September 2001, durften die USA zunächst auf Solidaritätsbekundungen zählen, unter anderem des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dutzende Staaten unterstützten den amerikanischen «Krieg gegen den Terror», namentlich gegen die Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan.

Doch als die USA 2003 auch den Irak angriffen, kippte die Stimmung. Der Irak-Krieg nährte den Hass gegen die USA und brachte schliesslich eine neue Terrororganisation hervor: den IS. Erst 2019 konnte nach Al-Kaida auch der IS halbwegs besiegt werden. Ganz ausgemerzt ist er noch immer nicht.

Auch jetzt besteht wieder die Gefahr, dass es Israel zwar gelingt, die Hamas in weiten Teilen zu zerschlagen – dass sich der islamistische Terror aber früher oder später blutig zurückmelden wird, befeuert von den Bildern getöteter Palästinenser im Gazastreifen. Geheimdienste in den USA und vor allem in Europa warnen vor einer neuen Welle islamistischer Terroranschläge.

Für den Westen kommt der Angriff zur Unzeit

Doch für die USA und ihre westlichen Verbündeten geht es um noch mehr als die Terrorgefahr. Geopolitisch kommt die Eskalation zwischen Palästinensern und Israelis zur Unzeit. Muslimische Staaten machen dem Westen seit Jahrzehnten den Vorwurf, er bevorzuge Israel und missachte die Rechte der Palästinenser. Diese Staaten werden in Zukunft noch weniger bereit sein, sich im Ringen mit Russland und China auf die Seite des Westens zu schlagen.

Es rächt sich, dass der Westen dem jahrzehntealten israelisch-palästinensischen Konflikt kaum noch Beachtung geschenkt hat. Die Annäherung zwischen Israel und etlichen muslimischen Staaten nährte die Hoffnung, auch ohne dauerhaften Frieden werde Ruhe einkehren in Nahost. Doch die jüngsten Terroranschläge haben diese Hoffnung als Illusion entpuppt.

Schon vor dem vom 7. Oktober war Israel nicht bereit, einen Schritt auf die Palästinenser zuzumachen – zum Beispiel mit einem Stopp des Baus israelischer Siedlungen im Westjordanland, das wie der Gazastreifen von den Palästinensern beansprucht wird. Nach dem jüngsten Hamas-Terror, nach Israels «9/11»-Erfahrung, dürften die Israelis dazu erst recht nicht mehr bereit sein.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Hier finden Sie weitere Artikel von Sebastian Ramspeck und Informationen zu seiner Person.

Krieg im Nahen Osten

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Die Konflikte in Israel, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Libanon halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

SRF 4 News, 16.10.2023, 17 Uhr

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