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Eskalation im Nahen Osten Gouverneurin von Jericho bricht das Schweigen

Während die Hamas mit ihren Gräueltaten weltweit die Öffentlichkeit entsetzt, schweigt Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Eine Vertreterin der Palästinensischen Autonomiebehörde erzählt nun erstmals, wie sie den Nahostkonflikt erlebt.

Zur Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland zu gelangen, ist dieser Tage nicht einfach. Die Checkpoints vor Ramallah, wo sich ihr Hauptsitz befindet, sind seit Tagen geschlossen. Also ausweichen nach Jericho, dem einzigen Tor zur Aussenwelt.

Vor dem Checkpoint: ein langer Stau. Es ist unklar, ob er offen ist oder noch immer geschlossen. Aufnahmen sind verboten. Mit dem Ausweis des israelischen Regierungspresseamtes klappt die Durchfahrt nach einer halben Stunde, dann sind es nur noch wenige Autominuten bis zum Verwaltungsgebäude.

Ein heikles Interview

Für ein Interview zugesagt hat Yusra Sueti, die Gouverneurin von Jericho und damit eine Vertreterin der Palästinensischen Autonomiebehörde. Sueti drückt ihre Bestürzung über die Ereignisse der vergangenen Tage aus. «Ich weiss nicht, ob wir jetzt im Krieg sind. Wir sind einfach alle schockiert über die Ereignisse.» Die Gouverneurin von Jericho stockt. Sie ist noch nicht lange im Amt: Erst, seit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas im August fast alle Gouverneure im Westjordanland feuerte und ersetzte.

«Die palästinensische Autonomiebehörde warnt schon lange vor so etwas», sagt Sueti. Erst kürzlich, an der UNO-Generalversammlung in New York, habe Abbas diese Warnung vor der versammelten Weltgemeinschaft wiederholt.

Yusra Sueti, die Gouverneurin von Jericho
Legende: Yusra Sueti, die Gouverneurin von Jericho, bricht das Schweigen und erzählt, wie sie den Nahostkonflikt erlebt. SRF

«Die Europäer und die Amerikaner wollen einfach nicht sehen, wie die Palästinenser unter der israelischen Besatzung leiden», sagt die Gouverneurin, und verweist auf den Ausbau der Siedlungen auf palästinensischem Land und die Gewalt von Siedlern gegen die Zivilbevölkerung. Dann zeigt sie auf ihr Handy. Bilder von getöteten Babys in Gaza. Diese Bilder will der Westen nicht sehen. In Jericho hätten fast alle Verwandte in Gaza. «Wir sind keine Terroristen, wir wollen in Frieden leben», sagt die Gouverneurin.

Dann kommt die Frage, die sie nicht beantworten kann, respektive darf. Und die Hamas, sind das die Terroristen? Eine Antwort auf diese Frage wäre für die Gouverneurin, Mitglied der Palästinensischen Autonomiebehörde, politischer Selbstmord. Denn: Die Hamas hat 2006 die Wahlen gewonnen. Da sie als die Partei gilt, die sich für die Palästinenser wehrt.

An der Macht geblieben im Westjordanland ist jedoch die Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Diese gilt in den Augen der meisten Palästinenser als Marionette Israels und als korrupt. Auch im Westjordanland feierten viele öffentlich die Massaker der Hamas an Israelis.

Dass sich die Palästinensische Autonomiebehörde nicht klar und deutlich distanziert, ist für die westliche Welt unverständlich – zumal sie diese finanziert. Das drohende Ende dieser Finanzierung auf der einen Seite, das Erstarken der Bewunderung für die Hamas auf der anderen: Dies könnte das Ende der Palästinensischen Autonomiebehörde bedeuten.

Und was dann? «Das wissen nicht einmal die Israelis. Ich weiss nicht, ob Netanjahu weiss, was er jetzt tun oder was passieren wird», sagt Sueti.

Krieg im Nahen Osten

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Die Konflikte in Israel, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Libanon halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

Echo der Zeit, 11.10.2023, 18:00 Uhr

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