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Europäische Verteidigung Trotz Dringlichkeit harzt es bei der europäischen Aufrüstung

Der Generalsekretär des europäischen Rüstungsdachverbandes, Camille Grand, spricht über die Herausforderungen einer kleinteiligen Rüstungsindustrie.

Der Rüstungsindustrie geht es gut, die Geschäftsbücher sind voll, die Aktienkurse steigen. Camille Grand stellt das mit Interesse und wohl auch Genugtuung fest.

Grand ist Generalsekretär des Dachverbands ASD, dem 4000 Firmen angehören, darunter bekannte wie Airbus, Dassault, Rheinmetall oder BAE-Systems. Viele Rüstungsbetriebe hätten die Kapazitäten erhöht.

Neue Herausforderung: ständige Provokationen

Allerdings, so Camille Grand, der früher Vize-Generalsekretär der Nato war, «ist häufig nicht klar, welche Prioritäten die Regierungen setzen. Das hat auch damit zu tun, dass sie drei Ziele gleichzeitig verfolgen müssen.»

Zunächst müssten sie die Ukraine unterstützen, dann sich selber gegen die russische Bedrohung wappnen und schliesslich ihre Verteidigung weitgehend ohne US-Unterstützung organisieren.

Nun kommt eine weitere Herausforderung hinzu: die russischen Dauerprovokationen mit Drohnen im Nato-Luftraum. Darauf sind Waffensysteme wie Kampfflugzeuge oder Raketen keine passende und eine viel zu teure Antwort.

Für die nächsten fünf oder zehn Jahre rechnen wir mit einer stark erhöhten Nachfrage.
Autor: Camille Grand Generalsekretär des Rüstungs-Dachverbandes

Für die Rüstungsindustrie stellt sich zudem die Frage, wie dauerhaft die aktuell breite politische Unterstützung für Verteidigungsvorhaben ist.

Grand: «Für die nächsten fünf oder zehn Jahre rechnen wir mit einer stark erhöhten Nachfrage. Aber für wirklich umfangreiche Investitionen braucht es darüber hinaus Berechenbarkeit.»

Ein Mann mittleren Alters mit graumeliertem Haar
Legende: Camille Grand war früher Vize-Generalsekretär der Nato und ist nun Generalsekretär des Dachverbandes ASD (AeroSpace, Security and Defence Industries). SRF / zvg / European Council on Foreing Relations

«Und das wiederum ist», so Camille Grand, «nicht nur eine Frage des politischen Willens von Regierungen, sondern auch abhängig von der öffentlichen Meinung und von der Fähigkeit von Staaten, sich schlagkräftigere Streitkräfte zu leisten.»

Der Cheflobbyist teilt die europäischen Nato-Mitglieder in drei Gruppen von Staaten ein: Die erste, darunter die baltischen und skandinavischen Länder, Polen oder Deutschland, sei schon im Begriff, ihre Verteidigung zu stärken.

Die zweite, zu der Frankreich oder Grossbritannien gehören, wolle zwar mehr tun, ihr fehlten jedoch die nötigen Mittel. Und die dritte Gruppe mit Spanien oder Italien nehme es mit der Aufrüstung ohnehin weniger ernst.

Kleinteiligkeit der Rüstungsindustrie

Ein weiteres Problem ist die Kleinteiligkeit der europäischen Rüstungsindustrie. Es gebe hier viel zu viele verschiedene Panzer-, Kampfflugzeug-, Fregatten- oder Raketentypen – und das sei unnötig teuer. Sinnvoller wären weniger, dafür grosse Anbieter. «Doch um das zu erreichen, müssten die einzelnen Regierungen gesamteuropäischer und weniger nationalistisch denken», sagt Grand.

Aufgereihte Sprengköpfe
Legende: Militärisches Equipment an einer Ausstellung in London, 2025. Keystone / Alastair Grant

Tatsächlich existieren inzwischen etliche Kooperationsprojekte. Doch gerade wichtige kommen zäh voran. Das ehrgeizige französisch-deutsche Vorhaben einer gemeinsamen Luftverteidigung steht gar vor dem Scheitern.

Es ist logisch, dass auch Europas Regierungen darauf erpicht sind, einen Teil der staatlichen Milliarden hier auszugeben.
Autor: Camille Grand Generalsekretär des Rüstungsdachverbandes

Die Regierung von Donald Trump setzt die Europäer unter Druck, mehr für ihre Verteidigung auszugeben, und erhofft sich damit üppige Käufe bei US-Waffenschmieden.

Grand von der europäischen Konkurrenz sieht das naturgemäss anders: «Gewiss, die Europäer werden auch künftig Rüstungsgüter aus den USA beziehen und neu auch aus Ländern wie Südkorea. Aber es ist logisch, dass nicht nur die Rüstungsbranche, sondern auch Europas Regierungen darauf erpicht sind, einen guten Teil der staatlichen Milliarden auch hier auszugeben und hier Arbeitsplätze zu schaffen.» Zumal dies die öffentliche Akzeptanz für hohe Rüstungsausgaben stärke.

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Rendez-vous, 1.10.2025, 12:30 Uhr; sten

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