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Feuersbrunst in der Türkei Brände ausser Kontrolle: «Türken fordern den Rücktritt Erdogans»

Während wir in der Schweiz frieren und das Gemüse in der nassen Erde verfault, leiden die Türkei und Griechenland unter einer historischen Hitzewelle. Das grösste Problem sind dabei die Wald- und Buschbrände. Im Süden der Türkei lodern die Flammen in der Nähe von Hotelanlagen, im Südwesten ist ein Kohlekraftwerk bedroht. Die Situation sei teils katastrophal, sagt die Journalistin Julia Hahn.

Julia Hahn

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Die Journalistin Julia Hahn berichtet als Korrespondentin für die Deutsche Welle aus der Türkei. Seit 2018 lebt sie in Istanbul.

SRF News: Was haben Sie gesehen?

Julia Hahn: Wir befinden uns seit einigen Tagen in der Region von Side/Manavgat wenige Kilometer östlich der Stadt Antalya. Hier wüten mit die schlimmsten Brände in der Türkei. Die Behörden sprechen zwar davon, dass man die meisten Feuer unter Kontrolle habe, doch es brechen jeden Tag neue Brände aus. Wenn man mit dem Auto unterwegs ist, sieht man viele Schwelbrände, kleinere Feuer, grössere Brände. Teilweise sind es apokalyptische Szenen – vor allem nachts.

Die Menschen haben ihr Zuhause, ihre Tiere, ihre Ernte verloren – sie stehen vor dem Nichts.
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Viele Dörfer in der Region sind vollständig verbrannt, die Menschen haben ihr Zuhause, ihre Tiere, ihre Ernte auf den Feldern verloren und stehen vor dem Nichts. Laut Schätzungen sind hier im Süden der Türkei bereits mindestens 100'000 Hektar Wald abgebrannt – das sind 1000 Quadratkilometer. Die Schäden an der Natur sind immens, übrig bleiben bloss verkohlte Baumstämme. Niemand weiss, ob sich die Menschen und die Natur wieder von dieser Krise erholen.

Zwei Frauen sitzen vor ihrem abgebrannten Haus.
Legende: Manche Familien in der Türkei haben durch das Feuer alles verloren. Keystone

Die Türkei ist auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen: Russland, Spanien, Kroatien und die Ukraine haben Löschflugzeuge geschickt. Sieht Präsident Erdogan einen Fehler darin, dass er über kein einziges eigenes Löschflugzeug verfügt?

Fehler eingestehen gehört nicht zum politischen Repertoire Recep Tayyip Erdogans. Er war im Katastrophengebiet unterwegs und wies dabei jegliche Kritik am Krisenmanagement seiner Regierung zurück. In der Tat aber sind viele Türken wütend und werfen der Regierung vor, überhaupt nicht auf die Brände vorbereitet gewesen zu sein.

Erdogan weist jede Kritik von sich.
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Die Leute monieren auch, dass die Regierung die Lösch-Infrastruktur in den vergangenen Jahren regelrecht heruntergewirtschaftet habe. Dabei weiss man, dass der Süden der Türkei für Waldbrände sehr anfällig ist. Trotz inzwischen 15 Löschflugzeugen aus dem Ausland sowie 5000 Einsatzkräften am Boden befürchten viele Leute, dass das gegen die Brände nicht ausreichen könnte.

Brände und Hitze auch in Griechenland

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Ausgebranntes Auto, es brennt rundherum.
Legende: Reuters

Rund um Athen konnten die Brände bis Mittwochmittag mehrheitlich eingedämmt werden, wie die Journalistin Corinna Jessen berichtet. «Aber die Zerstörung ist riesig und katastrophal.» Noch immer aber werden landesweit dutzende Brände bekämpft. Dabei ist Griechenland bisher nicht auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Neben Feuerwehrleuten werden auch Soldaten und Polizisten bei der Brandbekämpfung eingesetzt. Bislang traten auch bei der landesweiten Stromversorgung kaum Probleme auf. Diese wird angesichts von Temperaturen von bis zu mehr als 45 Grad im Schatten und Hunderttausenden ständig laufender Klimaanlagen arg gefordert: «Am Dienstag wurde landesweit der höchste Stromverbrauch aller Zeiten gemessen», so Jessen.

Haben die Waldbrände eine politische Dimension angenommen?

Ja. Kritik kommt etwa von der Oppositionspartei CHP, die Erdogan Verantwortungslosigkeit vorwirft. Auch in den sozialen Medien gibt es viele wütende Posts, manche Leute fordern unter einem Hashtag gar den Rücktritt Erdogans. Die Regierung ihrerseits versucht, die Krise auszusitzen und die Kritik möglichst zu unterdrücken.

Wirkt sich das auch auf Ihre Arbeit als Journalistin aus?

Unser Team aus ausländischen Journalisten kann bislang relativ frei aus der Krisenregion berichten. Doch türkische Medien haben offenbar eine Anweisung der nationalen Rundfunk-Aufsichtsbehörde erhalten. Darin werden sie davor gewarnt, negative Berichte zu senden, da diese zu einer «Atmosphäre des Chaos» führen und die Motivation der Einsatzkräfte schmälern könnten. Wer sich nicht daran hält, muss mit harten Strafen rechnen.

Die Medien werden davor gewarnt, negativ über die Brände zu berichten.
Autor:

Das wird hier als klarer Versuch von Zensur gewertet: Die Regierung versuche zu verhindern, dass über das tatsächliche Ausmass der Krisenlage berichtet werde und fordere stattdessen Berichte darüber, wie gut sie die Krise meistere.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

SRF 4 News, Rendez-vous vom 4.8.2021, 12.30 Uhr ; 

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