Vor einer Knabenschule in Zarqa, nordöstlich der jordanischen Hauptstadt Amman, hängen ein paar junge Männer gelangweilt herum. Als die 37-jährige Projektleiterin für Schulsanierungen Jill Schmidheiny aus ihrem Auto steigt, rufen sie ihr nach.
Die Architektin beachtet sie kaum. Sie ist Mitglied des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe und hat schon viel erlebt. Sie geht zum Rektor der heruntergekommenen Primarschule. Wegen Corona sind nur wenige Schüler da, aber es ist offensichtlich, dass die Schule nicht für so viele Kinder gebaut wurde.
Eine entschlossene Bauführerin unter Männern
Der Rektor begrüsst Jill Schmidheiny und ihren Begleiter Bassam Al-Qaisi. Dieser ist jordanischer Bauingenieur und Grundwasser-Experte, zugleich ist er ihr technischer Berater und Übersetzer. Der Rektor bietet Kaffee oder Tee an: ein Ritual in dieser Region. Erst, wenn alle einen Schluck genommen haben, beginnt die Sitzung.
Eine entschlossene Bauführerin unter Männern
Im Rektorenzimmer sind lauter Männer. Die Bauführerin muss Klartext mit ihnen reden und gleichzeitig Tabus beachten. Ein Tabu-Thema sind die WCs. Dem Rektor ist es peinlich, dass sich eine Toilette direkt neben seinem Büro befindet – das ist hier mit Scham behaftet.
Erst nach einer halben Stunde will er der Bauführerin das WC zeigen. Oder auch nicht, wie Jill Schmidheiny aus Erfahrung weiss. Der WC-Schlüssel bleibt unauffindbar. Die Bauführerin schlägt deshalb die Besichtigung der Klassenzimmer vor, in denen die Sanierungsarbeiten bereits begonnen haben.
Auf dem Weg dahin: überall Spuren von Gewalt. Die Schüler lassen ihre Frustration über das überfüllte, vernachlässigte Schulhaus und über ihre unterbezahlten, überforderten Lehrer aneinander oder etwa an den Holztüren ihrer Klassenzimmer aus. Metallteile ragen gefährlich aus der Türe, aus den Wänden hängen herausgerissene Elektrokabel.
Nach der Klassenzimmer-Besichtigung gibt der Rektor nach und zeigt der Bauführerin doch noch eine WC-Anlage. Kaum ein Kind traut sich, die Toiletten zu benutzen – auch aus Angst vor Gewalt von Mitschülern.
An der nächsten Schule, die wir besuchen, ist die WC-Anlage im Schulhof und für die Kinder gar nicht zugänglich. Auch hier zögert der Rektor, sie zu zeigen. Diesmal beharrt die Bauführerin darauf. Der Rektor persönlich bricht das Schloss auf.
Der Begleiter der Bauführerin, Ingenieur Bassam Al Qaisi, schmunzelt über ihre Entschlossenheit. In Jordanien seien Frauen auf Baustellen selten, sagt der siebenfache Vater. Er selbst hat fünf Töchter. «Vier von ihnen sind Ingenieurinne und eine ist Architektin», sagt Bassam Al Qaisi, sichtlich stolz. Die Bauführerin Jill Schmidheiny und der jordanische Ingenieur Bassam Al Qaisi sind ein eingespieltes Team.
Zum Schluss besuchen sie noch eine bereits vollständig sanierte Mädchenschule. Die Klassenzimmer sind voller Bilder, die Wände farbig. Die Rektorin und die Schülerinnen haben selbst mitgestaltet. Glücklich zeigt die Rektorin die sauberen WCs mit den robusten Waschtrögen.
Sanierte Mädchenschule in Russaifah, Jordanien
Insgesamt hat die Deza bereits 88 Schulen in Jordanien wieder instand stellen lassen, für insgesamt 78'000 syrische und jordanische Schulkinder.
Das Budget ist begrenzt: Es reicht gerade, um die grundlegendste Infrastruktur wieder instand zu stellen. Wenn sich danach die Schulleitung für Verschönerung und Pflege der sanierten Schule einsetzt, ist für Jill Schmidheiny das Ziel erreicht.