Brenton Tarrant betritt die Al Noor Moschee am 14. März 2019 mit nur einem Ziel: so viele Muslime zu töten wie er kann. Mit einem Schnellfeuergewehr – bemalt mit rechtsextremen, rassistischen Parolen – feuert Tarrant auf die Betenden.
Verletzten, die um Gnade betteln, schiesst er in den Kopf. Dann fährt der Australier zu einer zweiten muslimischen Gebetsstätte und tötet weiter.
Bluttat live im Internet übertragen
Der genaue Ablauf der Tat ist so klar, weil Tarrant seine Verbrechen mit einer Helmkamera online live übertragen hat. Der Massenmörder wurde schliesslich festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Es gab keine Anzeichen für einen bevorstehenden Anschlag dieser Grösse.
Das Verbrechen sei für Neuseeland völlig unerwartet gekommen, sagt der Terrorismus- und Extremismusforscher Chris Wilson von der Universität Auckland. «Es gab keine Anzeichen für einen bevorstehenden Anschlag dieser Grösse.» Zumindest war den Behörden nichts aufgefallen.
Ein offizieller Untersuchungsbericht scheint mehrheitlich den Aussagen des Täters zu glauben, wonach er vorwiegend den Videokanal Youtube genutzt habe, um sich über Themen zu informieren, die ihm wichtig waren.
Digitalen Fussabdruck gefunden
Das machte Chris Wilson und sein Team von Terroranalysten stutzig. Sie gingen auf die Suche nach dem digitalen Fussabdruck des späteren Massenmörders. In den dunkelsten Ecken des Internets wurden sie fündig: Die Wissenschaftler fanden auf der Plattform 4chan Beiträge Tarrants, die bis 2014 zurückreichten.
Die neuseeländischen Forscher lasen tausende anonymer Beiträge. Sie identifizierten Tarrants Schreibe schliesslich anhand seiner Berichte von Reisen durch Europa und Asien. Es ist eine forensische Meisterleistung.
Tarrant war schon 2015 so weit radikalisiert, dass er Gewalt als legitim und notwendig erachtete
Die wichtigste Erkenntnis: Tarrant hatte schon 2015 seine gewalttätigen Absichten klargemacht – vier Jahre vor der Bluttat. «Er war damals schon so weit radikalisiert, dass er Gewalt als legitim und notwendig erachtete», sagt Wilson.
Das Töten unschuldiger, farbiger Menschen in historisch wichtigen Kulturstätten sei notwendig, schrieb Tarrant damals.
Im Internet radikalisiert
In den folgenden Jahren hätten sich diese Ansichten kaum noch geändert, so der Terroranalyst. Nur der Fokus auf Muslime und Moscheen als Angriffsziel seien stärker geworden.
Die damalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern sagte nach dem Massenmord, dass solcher Extremismus nicht zu Neuseeland gehöre. Dieser Ansicht ist auch Terroranalyst Wilson.
4chan ist praktisch Online-Faschismus.
Er erinnert daran, dass der Täter Australier ist und nicht in Neuseeland radikalisiert wurde, sondern im Internet. Und dieses sei länderübergreifend. Für 4chan hat er kein gutes Wort übrig.
«4chan ist praktisch Online-Faschismus», sagt er. Die Gewalt ihrer Mitglieder belebe das Forum genauso, wie Faschisten glaubten, Gewalt sei notwendig, um die Lebenskraft einer Nation zu garantieren.
Mögliche weitere Massaker verhindern
Hätte das Massaker von Christchurch verhindert werden können? Im Nachhinein sehe immer alles einfacher aus, meint Wilson diplomatisch. Er sei jedoch besorgt, dass es sein Team gebraucht habe, um Tarrants Beiträge in 4chan zu finden.
Wilson hofft jetzt, dass die neuseeländischen Sicherheitsbehörden künftig besser mit Wissenschaftlern wie ihm zusammenarbeiten werden, um ein nächstes Christchurch zu verhindern.