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Grüne im Hoch So rasch wird wohl kein Grüner Kanzler

In Deutschland könnte nach dem grossen Knall bei der SPD bald auch die Regierungskoalition enden – und es würden Neuwahlen ausgerufen werden. In die Hände spielen würde das derzeit vor allem den Grünen – die Rede ist schon von einem grünen Bundeskanzler. Wo ihre Grenzen tatsächlich liegen, weiss der Freiburger Politologe Ulrich Eith.

Ulrich Eith

Professor Politologie

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Der Politologe Ulrich Eith ist Professor im Studienhaus Wiesneck, einem Institut für politische Bildung in Freiburg im Breisgau. Sein Spezialgebiet sind deutsche Politik, Wahlen und Parteien.

SRF News: Wird Deutschland bald von einem grünen Bundeskanzler regiert?

Ulrich Eith: Die Grünen haben bei den Europawahlen zwar stark zugelegt – aber eben: das waren Europawahlen, keine Bundestagswahlen. Eine grüne Kanzlerin oder ein grüner Kanzler wird dann möglich, wenn die Grünen bei den Bundestagswahlen mindestens so stark abschneiden. Das muss aber erst noch passieren. In der Vergangenheit waren bei Bundestagswahlen jeweils Fragen wie die soziale Gerechtigkeit oder die Einwanderung wichtigere Themen als Umweltfragen – da können sich andere Parteien besser profilieren als die Grünen.

Union und SPD wollen keine raschen Neuwahlen

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Eigentlich weist alles in Richtung Neuwahlen. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Weder die SPD noch die Union aus CDU/CSU haben ein Interesse an solchen. Neuwahlen würden ein Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels bedeuten, was die CDU nicht rasch anstrebt. Die SPD ihrerseits muss mit einem mindestens so schlechten Ergebnis rechnen, wie kürzlich bei den Europawahlen. Das wäre ihr Ende als Volkspartei. Deshalb würden sich Union und SPD in der Regierung wie Ertrinkende aneinander klammern, sagt der Politologe Albrecht von Lucke.

Sollten die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl tatsächlich so überragend abschneiden – hätten sie überhaupt das Personal, um den Kanzler zu stellen?

Den Grünen ist es in der Opposition gelungen, sich zu regenerieren. Sie haben – im Gegensatz zur SPD – den Personalwechsel hinter sich. Die beiden Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock kommen in den Umfragen sehr gut an und halten die Partei zusammen. Ihnen ist zuzutrauen, dass sie auch Führungsämter auf Bundesebene bekleiden könnten. Habeck war immerhin stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein.

Baerbock und Habeck vor grünem Hintergrund.
Legende: Erfolgreiches Duo an der Spitze der Grünen: Annalena Baerbock und Robert Habeck. Imago

Wie ist den Grünen die Regeneration in der Opposition gelungen?

Das Wechselspiel von Regierung und Opposition funktioniert in einem föderalen Staat wie Deutschland sehr gut und ermöglicht es den auf Bundesebene nicht regierenden Parteien, sich wieder zu sammeln, das Programm neu auszurichten und neues Personal einzusetzen. So merken die Wähler wieder, wofür die Partei steht. Zugleich kann die Partei in den Bundesländern weiterhin Regierungserfahrung sammeln – so regiert etwa in Baden-Württemberg bekanntlich ein grüner Ministerpräsident.

Auch die SPD wollte sich in der Opposition regenerieren – musste aber wieder in die Regierung.

Auch die SPD wollte nach der letzten Bundestagswahl in die Opposition und sich dort regenerieren. Doch weil die Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP nicht zustande kam, musste die SPD wieder in die Regierung, obschon das viele in der Partei nicht wollten.

Sowohl Habeck als auch Baerbock äussern sich bezüglich Kanzlerschaft bislang sehr zurückhaltend...

Beide realisieren sehr wohl, dass sie in ihrer politischen Karrieren noch etwas erreichen können. Da ist es besser, eher zurückhaltend und nicht allzu forsch aufzutreten. Ausserdem ist eine grüne Kanzlerschaft alles andere als sicher. Damit es dazu kommen kann, müssen die Grünen mehr Wählerstimmen holen als die SPD. Zudem kann eine grüne Kanzlerin oder ein Kanzler nur gewählt werden, wenn es im Parlament eine linke Mehrheit aus Grünen, SPD und Linkspartei gibt. In einem schwarz-grünen Bündnis (Union und Grüne) dagegen wären die Grünen bloss Juniorpartner.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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