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Sprayerei in Athen für einen Schuldenschnitt
Legende: Sprayerei in Athen für einen Schuldenschnitt. Keystone/Archiv

International «Die Beteiligten haben sich Zeit gekauft – teure Zeit»

Griechenland erhält weitere zehn Milliarden Euro als Finanzspritze. Doch einen Durchbruch sieht der Ökonom Jens Bastian in diesem Beschluss nicht: Die Euro-Finanzminister hätten sich bloss mehr Zeit verschafft. Ein Schuldenschnitt sei früher oder später unausweichlich.

Jens Bastian

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Bastian studierte in Deutschland politische Ökonomie und promivierte in Florenz. Er lebt seit 18 Jahren in Griechenland. 10 Jahre lang arbeitete er bei einer griechischen Privatbank. Von 2011 bis Ende 2013 war er Mitglied der «Task Force for Greece» der Europäischen Kommission. Seit eineinhalb Jahren ist er freier Wirtschaftsberater.

SRF News: Wo sind die Schwachpunkte des neuen Hilfspakets für Griechenland?

Jens Bastian: Alle Seiten machen deutlich, dass sie nicht das bekamen, was sie brauchten. Griechenland wollte Schuldenerleichterungen, und zwar nachhaltige. Das ist nicht möglich gewesen. Eine Erleichterung scheiterte vor allem am deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Gleichzeitig haben die europäischen Kreditgeber keine sichere Zusage vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen, ob er sich tatsächlich in den kommenden Jahren finanziell an dem Programm beteiligen wird. Vor allem aber trauen sämtliche Beteiligten der griechischen Regierung noch nicht. Sie muss in Vorleistung gehen und erst in der Praxis zeigen, dass sie dieses Vertrauen zurückgewinnen kann.

Ist der eher unbefriedigende Kompromiss darauf zurückzuführen, dass sich der IWF und die Finanzminister der Euro-Gruppe auf einen gemeinsamen Nenner einigen mussten?

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Das ist so. Die Verhandlungen in den vergangenen Wochen zwischen dem IWF und der Eurogruppe drehten sich nicht mehr so sehr um Griechenland, sondern um die Frage, ob es zu einer Schuldenerleichterung oder gar zu einem Schuldenschnitt kommen kann oder nicht. Alle Beteiligten haben deutlich gemacht, dass sie noch keine Lösung gefunden haben. Deswegen kaufen sie sich Zeit. Es ist allerdings teure Zeit, sie kostet zehn Milliarden Euro. In dieser Zeit muss weiter verhandelt werden. Die mühsame Suche nach einem Kompromiss geht weiter. Schäuble hat deutlich gemacht, dass er kein Mandat hat, Griechenland Schuldenerleichterungen zuzugestehen, schon gar nicht ein Jahr vor den Bundestagswahlen in Deutschland.

Es sind Heftpflaster-Lösungen.

Trotzdem ist nun die Rede von Schuldenerleichterungen für Griechenland. Ist das für Sie nur Blendwerk und keine wirkliche Erleichterung?

Es sind weiterhin Heftpflaster-Lösungen. Es wird ein bisschen an der Zinsschraube gedreht, die Laufzeit der Schuldenrückzahlung wird etwas verlängert, aber in der Substanz ändert das alles nichts daran, dass Griechenland strukturell überschuldet ist. Aus diesen Schulden kann das Land nicht herauswachsen und zurückzahlen kann es sie erst recht nicht. Man muss der Wahrheit ins Auge sehen. Der IWF verlangt einen substanziellen Schuldenschnitt. Für die europäischen Kreditgeber ist es schwer, dem zu folgen. Aber sonst kommt Griechenland aus eigener Kraft nicht mehr auf die Beine.

Ohne Schuldenschnitt kommt Griechenland nicht allein auf die Beine

Der IWF fordert Schuldenerleichterungen, die Eurogruppe, vor allem der deutsche Finanzminister Schäuble, haben sich dagegen gesträubt. Wer hat sich bei diesem Kompromiss mehr bewegt?

Im Grunde haben sich fast alle Beteiligten bewegt. Der IWF hat nicht das bekommen, was er wollte, nämlich substanzielle Schuldenerleichterungen. Die griechische Seite hat auch nicht berichten können, dass es Schuldenerleichterungen gibt. Einzig der deutsche Finanzminister Schäuble hat keine Zugeständnisse machen müssen. Er ist aus meiner Sicht jener, der sich durchgesetzt hat. Das Thema kann bis September nächsten Jahres auf Eis gelegt werden.

Das heisst, wenn man nun teilweise liest, es sei eine Niederlage für Wolfgang Schäuble, dann stimmt das gar nicht?

Es ist eine Niederlage für alle Beteiligten, weil sie wissen, dass das Kernproblem ein Schuldenschnitt ist und dass sie diesen nicht auf den Schultern Griechenlands alleine abladen können. Alle Beteiligten haben verloren, indem sie teure Zeit kaufen. Auch der IWF, der immer wieder von einem Schuldenschnitt spricht und das von anderen verlangt, sich selbst aber nicht daran beteiligen möchte, hat verloren. Wir müssen beim Thema Schuldenerleichterungen für Griechenland neue Wege gehen. Das ist politisch umstritten und auch teuer. Die Öffentlichkeit in Europa muss darauf vorbereitet werden. Es braucht noch viel Überzeugungsarbeit.

Das Gespräch führte Andrea Christen.

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