Die Beschuldigung Israels an die Adresse Irans, dieses betreibe ein geheimes Atomprogramm, wird in Teheran als «kindisch» und «lächerlich» kommentiert.
Offenbar versucht Israels Premier Benjamin Netanjahu, die Gunst der Stunde zu nutzen, um Stimmung gegen Teheran zu machen. «Netanjahu riskiert im Moment sehr viel», sagt NZZ-Nahostkorrespondent Ulrich Schmid. Dies zeigten auch die mutmasslich von Israel ausgeführten Raketenangriffe auf iranische Stützpunkte in Syrien.
SRF News: Israel will eine iranische Militärpräsenz in Syrien nicht dulden. Warum ist dies für Israel eine rote Linie?
Ulrich Schmid: Israel sieht Iran als expansive Macht – das sehen die arabischen Länder übrigens auch so. Man sieht mit grosser Sorge, wie sich Iran in Jemen, in Irak und in Libanon ausbreitet. Man sieht auch die Tätigkeit von Hisbollah und Hamas, die ebenfalls Gegner Israels sind. Dort ist man überhaupt nicht angetan von der Politik Irans. Ausserdem fühlt man sich atomar bedroht. Eine dauerhafte Präsenz Irans im Nachbarland Syrien wäre für Israel eine sehr schwierige Situation.
Im Gegensatz zu Israel scheinen die Russen mit einer ständigen Präsenz Irans in Syrien kein Problem zu haben. Kommt Israel mit Angriffen auf iranische Ziele in Syrien nicht auch zwangsläufig mit Russland ins Gehege?
Die Situation ist tatsächlich äusserst heikel. Wenn Israel in Syrien Angriffe auf Assad-Truppen, Kämpfer der Hisbollah oder schiitische Milizen aus Iran fliegt, dann hat man es mit Bündnispartnern Russlands zu tun. Allerdings haben weder Russland noch Israel ein Interesse daran, dass es zu Kriegshandlungen zwischen ihnen kommt. Seit Monaten sind deshalb Gespräche auf Ebene des Generalstabs im Gang. Deshalb dürfte es weiterhin gelingen, eine wirkliche Kriegssituation oder gar eine Konfrontation zwischen Israeli und Russen zu vermeiden.
Netanjahu steht unter starkem Druck: Auf ihn kommt möglicherweise eine Untersuchung wegen Korruption zu.
Mit ihren gezielten Schlägen auf iranische Stützpunkte in Syrien wird Israel zunehmend zu einer Konfliktpartei im dortigen Krieg. Warum riskiert die Regierung Netanjahu das gerade jetzt?
Zum einen hat sie das Gefühl, dass die Administration von US-Präsident Donald Trump voll und ganz hinter ihr steht. Am Sonntagabend war der neue US-Aussenminister in Israel. Er machte dabei deutlich, dass die USA alles tun werden, um die iranische Ausbreitung in Syrien zu unterbinden. Hinzu kommt, dass Netanjahu eine grosse Risikobereitschaft an den Tag legt, denn er steht unter starkem innenpolitischen Druck: Auf ihn kommt möglicherweise eine Untersuchung wegen Korruption zu. Netanjahu ist eine Spielernatur und er riskiert im Moment sehr viel – doch in den letzten Jahren hat er meist gewonnen, wenn er gespielt hat.
Trumps Druck auf Iran bestärkt Israels Militärs, jetzt in Syrien zuzuschlagen.
Welche Rolle spielt der Druck, den die USA derzeit im Zusammenhang mit dem Atomdeal auf Iran ausüben? Stärkt das die israelische Position zusätzlich?
Vor allem im israelischen Militär haben viele Leute das Gefühl, genau das stärke die israelische Position. Man hat in Israel den Eindruck, man könne jetzt praktisch ungehindert zuschlagen, da sich Teheran zurückhalten werde. Schliesslich möchte Teheran, dass sich die USA nicht aus dem Atomabkommen zurückziehen. Die Rechnung kann aufgehen – die Kalkulation kann allerdings auch falsch sein. Sicher ist, dass Trumps Druck auf Iran Israel bestärkt und die Militärs dies ausnützen möchten, um in Syrien zuzuschlagen.
Geht es Israel auch darum, bei den Verhandlungen um die Nachkriegsordnung in Syrien mitzureden?
Auf jeden Fall. Die heftigen Angriffe Israels auf iranische Stellungen in Syrien sind ein deutliches Signal an die USA und Russland, aber auch an die anderen Parteien wie Grossbritannien und Frankreich. Israel hat eminente Sicherheitsinteressen in Syrien und ist ein Player, der mitreden will, wenn es um die Nachkriegsordnung geht.
Israel scheint im Syrienkrieg also eine neue Linie zu verfolgen. Wie gefährlich ist das für eine weitere Eskalation in der Region?
Wenn Israel wirklich zu einer Konfliktpartei in Syrien würde – wie das Russen, Iraner und die syrischen Truppen sind – wäre das extrem gefährlich und für Israel überhaupt nicht wünschenswert. Dies dürfte auch nicht im Entferntesten Netanjahus Absicht sein. Er wird weiterhin seine Politik verfolgen, mit Nadelstichen oder auch mal ziemlich hart in Syrien zuzuschlagen. So verteidigt er die israelischen Sicherheitsinteressen. Aber so etwas wie eine Bodenoffensive oder eine längere Verwicklung in Gefechte ist sicher etwas, das Israel vermeiden möchte.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.