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Italiens neuer Sardinenschwarm Eine neue Protestbewegung gegen Rechtspopulismus

Wie die «Sardinen» Italiens Piazzen füllen und Matteo Salvini per Flashmob politisch die Stirn bieten.

Alles fing mit einer Provokation an: Am 14. November wollte eine Gruppe von 30-Jährigen beweisen, dass sie per digitalem Tam-Tam in kürzester Zeit mehr Menschen auf die Piazza bringen können als Matteo Salvini am gleichen Tag in einem Sportpalast. Passiert ist das in Bologna, der Hauptstadt der Emilia-Romagna. Dort finden Ende Januar Regionalwahlen statt.

In den Umfragen der traditionell linken Hochburg liegt der regierende Präsident der Region vom Partito Democratico, zwar noch vorne. Doch die Kandidatin der Lega, eine bekannte Frontfrau der Partei, schlägt sich prächtig.

Lega will linke Region erobern

Vor allem auf dem Land und in den kleineren Städten verspürt die Lega Zulauf – auch weil Parteichef Salvini tagtäglich in der Region in den Wahlkampf-Ring steigt. Salvini will nach Umbrien eine weitere historisch linke Region erobern und die Regierung in Rom in eine neue Regierungskrise stürzen.

Tausende Menschen auf einen Platz bei Nacht.
Legende: Hunderte «Sardinen» demonstrieren in Reggio Emilia für eine offene Gesellschaft. Reuters

Das will das Volk der «Sardinen» verhindern. «Wir sind die Antikörper gegen Intoleranz, Populismus und falsch verstandenen Nationalismus», sagt Mattia Santori, Sprecher und Mit-Initiator der neuen Protestbewegung. Dichtgedrängt auf Plätzen, eng gepackt wie Sardinen in Dosen, wollen sie gegen die Raubfische der Politik anstehen.

Für ein weltoffenes Italien

Die «Sardinen» sehen sich als riesigen Schwarm, der Pluralismus und die Prinzipien einer weltoffenen Gesellschaft gegen die Angriffe rechtspopulistischer Raubtiere verteidigt.

Andrea, Giulia, Mattia und Roberto waren dabei die ersten: Weder politisch aktiv noch erfahren in der Organisation von solchen Anlässen riefen sie zu einer Kundgebung auf der Piazza Maggiore auf – ohne Fahnen und ohne Parteiabzeichen.

15'000 Menschen folgten dem Aufruf, weit mehr als die angepeilten 6000. «Die Leute hatten einfach das Bedürfnis, Salvinis wochenlangem Wahlkampf etwas entgegenzusetzen», sagt Mattia Santori. Der 32-Jährige ist seitdem Galionsfigur, seine @6000sardine mittlerweile sogar ein eingetragenes Markenzeichen.

Mit den «Sardinen» will der studierte Wirtschaftswissenschafter jenen den Platz streitig machen, die «zu lange völlig ungestört politische Inhalte in einem Ozean von inhaltsloser Kommunikation ertränken konnten».

Salvini mit dessen eigenen Mitteln schlagen

Gemeint ist Lega-Chef Salvini – der Meister vermeintlicher politischer Anteilnahme, der seinen Wahlkampf zu einem einzigen Selfie macht und die soziale Kommunikation auf Plätzen und Strassen konsequent digitalisiert hat.

«Salvinis Erfolgsrezept haben wir in nur sechs Tagen gelernt. Er soll nun lernen, wie wir unser Leben meistern». Santori meint damit den täglichen Überlebenskampf einer Generation ohne feste Jobaussichten in einem Land, das sich wirtschaftlich und sozial nicht von der Stelle rührt.

Der 46-jährige Lega-Chef kontert noch mit Humor: Als Fan von Haustieren lässt er per Twitter eine Katze genüsslich eine Sardine verspeisen.

Doch bald wird sich zeigen, inwieweit dieser neue Sardinenschwarm die politischen Machtpläne der Lega durchkreuzen kann. Denn das ist das Ziel der «Sardinen» – nicht nur in der Emilia Romagna, sondern auch in Palermo, Neapel und bald in Mailand und Rom.

Dann wird sich auch zeigten, ob jemand anderes in Italien noch kalte Füsse bekommt: Die an der Regierung in Rom beteilige Protestbewegung Cinque Stelle, die momentan sehr mit sich selbst beschäftigt tief in einer Sinnkrise steckt.

Sendebezug: «Tagesschau vom 25.11.2019

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