Eine Katze bettelt zwei Männer an, die im dicht besiedelten Tariq-el-Jdideh-Quartier von Beirut gerade vom Einkaufen zurückgekommen sind. Nur einer von ihnen trägt eine Plastiktüte.
«Wenn Sie eine Fernsehkamera hätten, würden wir nicht mit Ihnen reden», sagt der eine. Kürzlich habe sie ein Fernsehteam wie Bettler dargestellt und damit erniedrigt. Ohne Kamera aber hat er keine Hemmungen, seine mageren Einkäufe zu zeigen.
Horrende Preise für Linsen
«Ein kleiner Sack Linsen kostet 14'500 Pfund», sagt er. Das sind umgerechnet fast zehn Franken.
Je zwei kleine Säcke Linsen und Kichererbsen konnte er sich im Laden für subventionierte Lebensmittel ergattern – und ein Kilo Milchpulver: «Nicht einmal ganz ein Kilogramm ist das – und kostet 74'000 Pfund», sagt der zweite Mann. Das ist etwa doppelt so teuer wie in der Schweiz.
Mit den mageren libanesischen Löhnen sind die Lebensmittel nochmals teurer – wegen des Zerfalles des libanesischen Pfundes sind aus guten Löhnen Hungerlöhne geworden. «Für viel mehr als eine Mahlzeit reicht das alles nicht. Er hat vier und ich sechs Kinder», sagt der Mann.
Für die subventionierten Lebensmittel, die es bestenfalls einmal pro Woche gibt, standen die beiden Familienväter anderthalb Stunden an. Der eine hat als Elektriker gearbeitet und seinen Job verloren, der andere verkauft Socken, die niemand kaufen kann.
Die Wirtschaftskrise und vor allem die horrende Inflation seien schlimmer als im Bürgerkrieg, der 1990 endete und den beide Männer erlebt haben.
Unfähige Politiker
Den Menschen mit ihren fast leeren Einkaufstaschen lächelt von einer Plakatwand ein übergrosser Saad Hariri entgegen. Hariri trat 2019 als Premier zurück, als Hunderttausende in den Strassen gegen die korrupte Regierung demonstrierten.
Seit Oktober 2020 ist er wieder designierter Premier, doch eine Regierung bringt er nicht zustande. Trotzdem halten im mehrheitlich sunnitischen Tariq-el-Jdideh-Quartier in Beirut viele noch zu ihm.
Auf einem Bänklein im Schatten sitzt eine ältere Frau, in der Hand hält sie einen Gehstock, am Handgelenk baumelt eine Plastiktüte, sie trägt eine Gesichtsmaske. «Sie demonstrieren, schlagen sich zusammen, und es ändert sich doch nichts», sagt sie resigniert.
In ihrer Einkaufstasche befinden sich ein paar Batterien und eine Zeitung, die ihr eine Freundin geliehen hat. Für Lebensmittel habe das Geld heute nicht gereicht.
Profiteure in der Not
«Niemand wird satt. Wir haben so wenig zu essen. Und die Händler erhöhen dauernd die Preise!», klagt die Frau. Ein Kilo Fleisch koste jetzt 100'000 Pfund. Das könne sie sich nicht leisten. Sie könne sich höchstens ab und zu ein halbes Pfund Fleisch kaufen.
Aus der Not der Menschen versuchen die einzelnen politischen und religiösen Parteien nun Kapital zu schlagen. Im Süden des Landes füllt die militante Hisbollah Lager mit Nahrungsmitteln und verteilt ihrer Anhängerschaft Essensmarken. In anderen Landesteilen kommt es in den Supermärkten zu Schlägereien um einen Sack Zucker. Denn viele Regale sind praktisch leer.
«Schau, was mit uns in Libanon passiert», sagt die Frau auf dem Bänklein resigniert.