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Krieg in Afghanistan «Die Taliban sind nicht auf Gelder aus dem Ausland angewiesen»

Nach dem Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan sind dort die radikal-islamischen Taliban auf dem Vormarsch. Innert weniger Tage haben sie mehrere Provinzhauptstädte erobert. Die während Jahren vom Westen ausgebildeten und ausgerüsteten Regierungstruppen scheinen auf verlorenem Posten. Wie aber finanzieren die Taliban ihre Offensive? Der Afghanistan-Kenner Florian Weigand hat Antworten.

Florian Weigand

Konfliktforscher

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Der Konfliktforscher Florian Weigand ist Co-Direktor des «Centre for the Study of Armed groups» und damit Teil der Londoner Denkfabrik Overseas Development Institute ODI.

SRF News: Die Taliban brauchen Geld, um ihren Krieg zu finanzieren. Woher haben sie dieses?

Florian Weigand: Die Taliban haben in den letzten zehn Jahren relativ weitreichende, staatsähnliche Strukturen aufgebaut. Dazu gehört auch ein Steuersystem in den von ihnen eroberten Gebieten. Güter und wirtschaftliche Tätigkeiten fallen unter die Steuerpflicht und die Taliban nehmen so erhebliche finanzielle Mittel ein.

Die Taliban nehmen durch Steuern erhebliche Mittel ein.
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Zudem haben sie in letzter Zeit mehrere Grenzübergänge eingenommen, an welchen sie jetzt auch Zölle und andere Abgaben einkassieren. Das sind die derzeit wohl wichtigsten Finanzierungsquellen der Taliban.

Berichte von Kriegsverbrechen

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Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, hat die Taliban in Afghanistan zu einem Ende ihrer Angriffe auf Städte aufgefordert. Berichte aus den Regionen legten nahe, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden, teilte Bachelet am Dienstag in Genf mit. So gebe es Berichte von Massenhinrichtungen sowie Angriffen auf Regierungsvertreter und ihre Familien, erklärte die Menschenrechtskommissarin.

Schulen, Kliniken und Wohnhäuser würden zerstört und Anti-Personenminen ausgelegt. Die Vereinten Nationen haben demnach auch Berichte erhalten, dass gegen afghanische Soldaten schwere Menschenrechtsverbrechen begangen wurden, obwohl ihnen Verschonung zugesagt wurde, wenn sie sich ergeben. Frauen dürften nach diesen Berichten ihre Häuser nicht mehr verlassen. In einigen Fällen sollen Frauen in der Öffentlichkeit geschlagen worden sein, wenn sie gegen die neuen Regeln verstiessen. Eine Frauenrechtlerin sei erschossen worden. (sda)

Erhalten die Taliban auch Geld aus dem Ausland?

Seitdem die Taliban in den 1990er-Jahren erstmals an die Macht kamen, wurde dem Nachbarland Pakistan vorgeworfen, sie finanziell zu unterstützen. Aktuell dürfte die Hauptfinanzierung aber nicht aus dem Ausland kommen.

Durch ihren Vormarsch erhalten die Taliban Zugriff auf militärisches Gerät.
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Zusätzlich zu den Zöllen und Steuern erhalten die Taliban durch ihren schnellen Vormarsch und die Eroberungen derzeit immer wieder Zugriff auf finanzielle Mittel und auch auf militärisches Gerät. Sie sind insofern gar nicht auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen.

Werden die Taliban in Kürze auch die Hauptstadt Kabul erobern – oder wird die Armee sie in Schach halten können?

Der Vormarsch der Taliban war in den letzten Wochen gewaltig – und er übersteigt jede Prognose, die ich vorher abgegeben hätte. Ich denke aber, dass die grössten und wichtigsten Städte – darunter auch Kabul – vorerst wohl noch unter Kontrolle der Regierung bleiben werden. Eine Rolle wird spielen, inwiefern der Glaube an das bisherige System beibehalten werden kann.

Der Vormarsch der Taliban übersteigt jede Prognose, die ich vorher abgegeben hätte.
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Ausserdem wird es einen Einfluss haben, wie sich die internationale Gemeinschaft positioniert. Je mehr Botschaften geschlossen werden und die Länder dadurch zeigen, dass sie sich vor den Taliban fürchten, desto schwieriger wird es auch für den afghanischen Staat, den Glauben zu mobilisieren, dass das System standhalten kann.

Botschafter raten von Rückschaffungen ab

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Mit dem Vormarsch der Islamisten wird inzwischen auch die Abschiebepraxis der europäischen Staaten in Frage gestellt.

Die EU-Botschafter in Afghanistan raten angesichts des schnellen Vormarsches der Taliban von Abschiebungen in das Krisenland vorerst ab. Dies geht aus einem an die EU-Staaten versendeten internen Bericht der EU-Missionschefs in Kabul hervor.

Das Gespräch führte Daniel Hofer.

Rendez-vous vom 10.08.2021, 12:30 Uhr ; 

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