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Kritik an Libyens Auffanglager «Die EU spricht nicht mit einer Stimme»

Italien will ein umstrittenes Migrationsabkommen mit Libyen nachverhandeln. Die Zustände in den libyschen Flüchtlingslagern müssten sich verbessern, fordert Rom. Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien in Osnabrück glaubt nicht, dass sich damit wirklich etwas ändern wird.

Jochen Oltmer

Historiker

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Jochen Oltmer forscht an der Universität Osnabrück zum Thema Migration. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der deutschen, europäischen und globalen Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

SRF News: Rom verlangt von der Regierung in Tripolis, dass die Rechte der Migranten in den Lagern gestärkt werden. Weshalb gerade jetzt?

Jochen Oltmer: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die italienische Regierung diese Forderung vor allem deshalb stellt, weil es Kritik gab. Am liebsten wäre ihr wohl gewesen, wenn die Verlängerung des Abkommens nicht gross aufgefallen wäre. Was die geforderte Verbesserung der Situation konkret bedeuten soll, wissen wir nicht. Der UNO-Flüchtlingshochkommissar sagt zum Beispiel, die internationalen Vorschriften sollen für Menschen, die von der libyschen Küstenwache an Land gebracht werden, gelten. Aber ob das passieren wird und welche Handlungsmöglichkeiten Italien hat, ist unklar.

Mittelmeerkarte, Italien und Libyen eingezeichnet.
Legende: Italien überweist Beträge in dreistelliger Millionenhöhe, Libyen hält dafür möglichst viele Migranten zurück. Das Abkommen zwischen den beiden Ländern gilt seit zwei Jahren. SRF

Wird Libyen auf diese unklaren Forderungen der Italiener eingehen?

Ich bin skeptisch, denn die Situation der Regierung in Tripolis ist zunehmend problematisch. Im Bürgerkrieg ist sie in eine defensive Lage geraten. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind zunehmend auf die Hauptstadt beschränkt.

Sie hat, was das ganze Land angeht, immer weniger Zugriffsrechte. Das heisst, Italiens Regierung kann sicher verhandeln und vielleicht auch eine Änderung des Abkommens erreichen. Aber ob das die Situation der Menschen in und ausserhalb der Lager – die meisten, die vom UNHCR als Flüchtlinge bezeichnet werden, leben ausserhalb – dadurch verbessert, ist fraglich.

Libyen hat also vor allem mit eigenen Problemen zu kämpfen?

Ja, das Land ist aber auch auf das Abkommen angewiesen. Die Regierung in Tripolis wird vor allem deshalb von Italien und anderen EU-Staaten gestützt, weil sie eine Schlüsselstellung hat und einen Beitrag dazu leisten kann, dass weniger Menschen über das zentrale Mittelmeer in Richtung Italien gelangen. Das Regime ist also schwach, aber auch stark wegen dieser Schlüsselposition.

Ob sich in diesen Lagen etwas verbessert, ist also fraglich?

Ja, zumal dieses Abkommen schon deutlich mehr als zwei Jahre existiert und sich in dieser Zeit relativ wenig getan hat. Die wenigen Berichte, die wir haben, deuten darauf hin, dass die Situation für die Menschen in den Lagern ausgesprochen schwierig ist. Und das, was als libysche Küstenwache bezeichnet wird, ist offensichtlich nur begrenzt unter der Kontrolle der Regierung in Tripolis. Unter diesen Küstenwächtern sind sehr viele Milizen.

Was an Booten und Schiffen zur Verfügung gestellt worden ist, wird von der EU finanziert.

Man hat es mit einem gescheiterten Staat zu tun. Das macht es sehr schwer, von aussen sagen zu können, wer hier eigentlich welche Möglichkeiten hat.

Und welche Rolle spielt dabei die EU?

Die EU finanziert einen Grossteil der Massnahmen. Was beispielsweise an Booten und Schiffen zur Verfügung gestellt worden ist für die libysche Küstenwache, wird von der EU finanziert. Ich vermute, dass sich die EU nicht in die Verhandlungen einmischen wird. Denn sie müsste sich ganz explizit positionieren, was diesen Vertrag angeht. Und das ist allein schon deshalb schwierig, weil die Regierung in Tripolis zwar von Frankreichs Regierung anerkannt wird, diese aber gleichzeitig auch die Opposition gegen die Regierung in Tripolis stützt. Die EU spricht hier also nicht mit einer Stimme.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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