Es gibt einen guten Grund für den Truppenabzug aus Afghanistan, der amerikanische Präsident Joe Biden hat ihn in seiner gestrigen Rede schonungslos dargelegt. Wieso sollten die USA die afghanische Regierung mit weiteren Milliarden unterstützen, wenn diese nicht willens ist, das Schicksal des Landes selbst in die Hand zu nehmen?
Gleichwohl endet der Truppenabzug für Biden in einem Debakel – weil davon am Ende just China profitiert, jenes Land also, das der amerikanische Präsident zu Beginn seiner Amtszeit wortreich zum Jahrhundertrivalen erklärt hatte.
Lange Reihe von Fehleinschätzungen
Dabei steht das Afghanistan-Debakel in einer langen Reihe von Fehleinschätzungen und Misserfolgen der USA im Nahen und Mittleren Osten:
- Der Sturz von Diktator Saddam Hussein und die Besetzung Iraks führten letztlich zur Gründung des Islamischen Staats (IS).
- Nach dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi wurde Libyen zum Transitland für Hunderttausende von Migrantinnen und Migranten nach Europa.
- In Syrien gelang es dem Westen nicht, Gewaltherrscher Baschar al Assad zu Fall zu bringen, Millionen von Menschen machten sich auf die Flucht.
Stets fehlte es dem Westen an einer Strategie, stattdessen verfolgte er einen bunten Strauss von Zielen: gegen Massenvernichtungswaffen und Terrorismus, für Menschenrechte und Demokratie, gegen unerwünschte Einwanderung. Doch allzu oft standen die Ziele im Widerspruch zueinander: Die erfolgreiche Erreichung des einen Ziels führte anderswo zum Misserfolg.
China hat eine klare Strategie
Ganz anders macht es China. Den afghanischen Taliban dient sich die Regierung in Peking als Partnerin an und verfolgt damit eine erfolgsversprechende Strategie des Wohlstands- und Machtgewinns:
- China will Milliarden in Afghanistan investieren, es hat Bodenschätze wie Kupfer, Lithium oder Gold im Visier und will das Land zum Teil der Neuen Seidenstrasse machen, des chinesischen Wirtschaftskorridors nach Europa.
- Im Gegenzug sollen die Taliban auf die Unterstützung islamistischer Gruppierungen in China verzichten. Die Taliban dürften pragmatisch genug sein, um sich auf einen solchen Deal einzulassen.
- Damit kann China zum Machtfaktor Nummer eins werden in einem Land, das bisher unter dem Einfluss des Westens, aber auch Indiens, Pakistans und Russlands stand.
Für Chinas Führung wäre es ein geostrategischer Coup sondergleichen. Für den Westen wieder einmal die Erkenntnis: In der Weltpolitik gewinnt, wer eine klare Strategie und pragmatische Ziele verfolgt.