Wie bekannt wurde, haben die USA der Ukraine im März Raketen mit grösserer Reichweite geliefert. Die Waffen seien im Stillen genehmigt worden und bereits in der Ukraine eingetroffen, teilte das US-Verteidigungsministerium mit. Militäranalyst Masuhr erläutert die mögliche Wirkung dieser Waffe.
SRF News: Was unterscheidet diese Raketen von anderen?
Niklas Masuhr: Grundsätzlich sind es taktische ballistische Raketen, die vom Boden abgefeuert werden. Bereits im letzten Jahr haben die USA Atacms geliefert.
Die Atacms, die jetzt geliefert werden, sind solche mit Reichweiten bis zu 300 Kilometern.
Das sind Raketen mit Reichweiten bis zu etwas über 150 Kilometern, ausgerüstet mit Clustermunition. Die Atacms, die jetzt geliefert werden, sind solche mit erhöhten Reichweiten, mit Reichweiten bis zu 300 Kilometern. Ob die auch mehrheitlich mit Clustermunition oder mit Sprengköpfen ausgerüstet sind, wissen wir bisher noch nicht.
Warum wurden diese Raketen im März an die Ukraine ausgeliefert?
Die Ukraine wünschte sich diese Raketen schon seit langem. Auf US-Seite gab es Bedenken bezüglich der Eskalation gegenüber Russland. Zudem hat man sich auch über die eigene Versorgung Sorgen gemacht. Nun hat man gewisse Produktionsstrassen eingeleitet und mehr Atacms in den US-Inventaren zurückhalten können als geplant war. Und diese Lieferung scheint eine US-Reaktion auf russische Schläge gegen die ukrainische Infrastruktur zu sein, bei der auch nordkoreanische Raketen benutzt wurden. Diese beiden Gründe scheinen das Weisse Haus dazu bewogen zu haben, diese Raketen nun zu liefern.
Die USA haben ja bereits zuvor Atacms-Raketen mit einer kürzeren Reichweite geschickt. Was hat die Ukraine aus deren Einsatz gelernt?
Der Einsatz der bisherigen Atacms-Raketen war eher begrenzt. Die Ukraine hat insbesondere im Sommer 2022 Himars-Raketen sehr effektiv eingesetzt, um russische Depots und Kommandostrukturen zu treffen und damit eine Abstandswirkung auf Russland zu erzeugen. Die Hoffnung ist, dass sich dieser Effekt replizieren lässt, jetzt auf grössere Reichweiten.
Dadurch kann sich die Ukraine Zeit erkaufen und bei den Bodentruppen eine Konsolidierung vornehmen. Die ist nach russischen Vorstössen gestern bitter nötig.
Wie können die Atacms-Raketen mit längerer Reichweite den Kriegsverlauf beeinflussen?
Im besten Fall werden die russischen Bodentruppen abgehalten, etwa indem Flugfelder, von denen aus russische Kampfflugzeuge starten und Gleitbomben abwerfen, getroffen werden können. Gleichzeitig kann man wiederum Angriffe auf russische Kommandostände, Bereitstellungsräume und Munitionsdepots durchführen. Das bedeutet, dass diese Raketen die Russen dazu zwingen könnten, aus grösserer Entfernung zu operieren. Dadurch kann sich die Ukraine Zeit erkaufen, damit die anderen Elemente des amerikanischen Pakets, die Artilleriemunition und Kampffahrzeuge, zum Tragen kommen können. Und die Ukraine kann bei den Bodentruppen eine Konsolidierung vornehmen. Die ist nach russischen Vorstössen gestern bitter nötig.
Wirklich einen grossen Effekt haben diese Raketen, wenn sie in einer Welle zu Beginn eingesetzt werden.
Wie wird Russland auf den Einsatz dieser Langstreckenraketen reagieren?
Grundsätzlich hat man im Kriegsverlauf gesehen, dass Fähigkeitssprünge auf ukrainischer Seite zu Beginn ihren grössten Effekt hatten. Selbst wenn diese Raketen schwer abzufangen sind, heisst es nicht, dass es unmöglich ist. Die russische Seite kann sich anpassen. Das heisst, wenn die Ukraine in einigen Monaten weiterhin diese Systeme verwendet, sind die natürlich nicht nutzlos. Aber wirklich einen grossen Effekt haben sie, wenn sie in einer Welle zu Beginn eingesetzt werden.
Das Gespräch führte Lea Saager.