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Ministertreffen in Bukarest Die Nato gibt sich geeinter, als sie ist

Für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist die fortgesetzte Unterstützung der Ukraine entscheidend, wie er am Ministertreffen in Bukarest betont. Laut US-Aussenminister Anthony Blinken ist die gesamte Nato felsenfest entschlossen, diese Hilfe zu leisten.

Die gezielten und systematischen russischen Angriffe vor allem auf die ukrainische Energieinfrastruktur haben die dreissig Nato-Staaten darin bestärkt, dem Land weiterhin zu helfen. Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock wirft der Kreml-Führung gar einen «brutalen Zivilisationsbruch» vor.

Kiew hätte sich mehr erhofft

Die Ukraine erhält nun weitere Defensivwaffen sowie Störsender zur Drohnenabwehr. Und das, was auf dem Nato-Aussenministertreffen als Winterhilfspaket zur Überlebenshilfe bezeichnet wurde: medizinisches Material, Winterausrüstung, aber auch Stromgeneratoren, Transformatoren sowie Geld, Material und Knowhow, um die ramponierte Strom- und Gasversorgung notdürftig zu reparieren.

Lang ist aber auch die Liste der unerfüllten Begehren. So sind weiterhin keine Patriot-Abwehrraketen im Lieferprogramm. Panzer, Mittelstreckenraketen oder Kampfflugzeuge erhält die Ukraine ebenfalls nicht, obschon sich westliche Militärs einig sind, dass sie dieses Kriegsgerät bräuchte, um die zurückeroberten Gebiete zu halten und die noch immer russisch besetzten Gebiete zurückzuholen.

Symbolisch noch wichtiger und für die Ukraine enttäuschender ist: Das Bukarester Ministertreffen kam keinen Millimeter voran punkto institutioneller Annäherung der Ukraine an die Nato. Obschon ihr just in Bukarest schon 2008 eine Bündnismitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde.

Klar ist, dass die Allianz kein Land aufnimmt, das mitten in einem Krieg steckt. Doch zumindest hätte man den ohnehin langwierigen Beitrittsprozess einleiten oder über langfristige Sicherheitsgarantien diskutieren können.

Risse müssen verhindert werden

Warum selbst das nicht geschah, sagte Nato-Chef Stoltenberg: Man dürfe jetzt nichts tun, was die Einigkeit innerhalb der Nato gefährde. Das bedeutet: Es gibt eben keinen Konsens zum Heranführen der Ukraine an die Nato. Die Osteuropäer fordern es zwar entschieden – da eine stabile und sichere Ukraine auch ihnen mehr Sicherheit verschafft. Die übrigen Nato-Mitglieder allerdings zögern oder lehnen es rundweg ab.

Auch anderswo zeigen sich Risse: In manchen Nato-Staaten wird es künftig schwieriger, die milliardenschwere Ukraine-Unterstützung durch die Parlamente zu bringen. Dies etwa in Italien, wo nun die Rechten regieren, und besonders in den USA, wo das neu republikanisch beherrschte Repräsentantenhaus Präsident Joe Bidens Begehren kaum einfach durchwinken wird.

Alte und neue Gräben tun sich auf

Und schliesslich findet die Nato einfach keinen Weg, um die Türkei dazu zu bewegen, den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands endlich gutzuheissen. Anscheinend wird nicht mal wirklich Druck gemacht. Vielmehr hofft man schlicht darauf, der Machthaber in Ankara werde früher oder später schon einlenken.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die zuvor schlingernde Nato geeint und revitalisiert. Doch jetzt zeigt sich: Diese Geschlossenheit ist womöglich nicht nachhaltig. Alte und neue Gräben tun sich auf. Das wird in Kiew mit Sorge beobachtet. Und in Moskau wohl mit Genugtuung.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

SRF 4 News, 30.11.2022, 17 Uhr

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