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Misstrauen gegen Covid-Impfung Die Saat des Kremls? Russlands Verschwörer haben Hochkonjunktur

Bill Gates, Mikrochips und das Virus: Auch in Russland grassieren Verschwörungstheorien. Die Impfbereitschaft schwindet.

Die Zahlen sorgten Anfang März in Russland für Aufregung: Eine Umfrage des renommierten Levada-Zentrums ergab, dass sich 62 Prozent der Befragten nicht mit Sputnik impfen lassen wollen. Dieser Befund wurde sogleich als Ausdruck des totalen Misstrauens gegenüber dem Staat und der Regierung interpretiert.

Da ist aber noch mehr. Denn ganze 64 Prozent der befragten Russinnen und Russen glauben gemäss der Umfrage auch, dass das Coronavirus nicht natürlich entstanden ist – sondern, dass es aus einem Labor stammt.

Staatlich gefördertes Misstrauen

Eine Politsendung im ersten Kanal, dem populärsten Fernsehsender Russlands:

Dem Publikum wird mithilfe von schnellen Bildsequenzen und dramatischer Musik nahegelegt, Bill Gates stecke hinter dem Coronavirus, weil er viel Geld verdienen, die Menschen per Mikrochip steuern, ja die Menschheit sogar dezimieren wolle. Der halbstaatliche Fernsehkanal verbreitet also zu bester Sendezeit eine Verschwörungstheorie zum Coronavirus.

Das Misstrauen wächst, die Leute glauben zuerst an die eine, dann an die andere Verschwörung – bis es zu einer Art Gewohnheit wird, die Welt so zu sehen.
Autor: Ilya Yablokow Russischer Politologe

Diese Sendung am russischen Fernsehen sei keine Ausnahme, sagt der russische Politologe Ilya Yablokow. Er forscht seit Jahren zu russischen Medien und zu Verschwörungstheorien. Der Erste Kanal sei berüchtigt für seine Lügen, sagt Yablokow. Aber das sei nur ein Beispiel von vielen.

Russe lässt sich in Moskau impfen
Legende: Die Sputnik-Impfung ist ein Exportschlager: Zahlreiche Länder haben das Vakzin bereits eingekauft und lassen ihre Bevölkerung damit impfen. Doch in Russland selbst sieht es erstaunlicherweise anders aus. Keystone

Sogar die Regierung verbreite seit Jahren aktiv Verschwörungstheorien. «Und das ist nun das Resultat: Zuerst verbreitet man solche Theorien, und dann wenden sie sich gegen Dich. Das Misstrauen wächst, die Leute glauben zuerst an die eine, dann an die andere Verschwörung – bis es zu einer Art Gewohnheit wird, die Welt so zu sehen.»

Doch warum eigentlich setzt der Kreml solche Behauptungen in die Welt? Ganz einfach: Es ist ein Machtinstrument, sagt der Experte: «Ein beliebtes Instrument, um die Gesellschaft zu kontrollieren und der Regierung Unterstützung zu sichern. Und – ganz konkret – um Oppositionelle zu schwächen.»

Die rationale Komponente des Unbehagens

So wurde Boris Nemtsow in den 2000er-Jahren als Person dargestellt, die für westliche Regierungen arbeite. Und von Alexej Nawalny heisst es konstant, er arbeite für den amerikanischen Geheimdienst CIA. All diese Beschuldigungen fussten auf Verschwörungstheorien. Und das funktioniere sehr gut, so der Politologe Yablokow.

Doch zurück zum Coronavirus und dem Misstrauen gegenüber der Impfung. Da spiele – neben den Verschwörungstheorien – auch die eigene Erfahrung mit Ärzten mit, sagt der Experte. Das riesige Ausmass an Korruption im Gesundheitswesen sei bekannt. Die Qualität der medizinischen Ausbildung sei schlecht und werde immer schlechter. Deshalb habe dieses Misstrauen durchaus eine rationale Komponente.

Putin lässt sich impfen – aber womit?

Dazu kommt, dass die Sputnik-Impfung auf intransparente Art und Weise entwickelt wurde. Und schliesslich war es dem Vertrauen sicher nicht förderlich, dass Präsident Wladimir Putin sich unverständlich lange nicht impfen liess. Doch dies hat er letzte Woche nachgeholt – allerdings ohne offenzulegen, für welchen Impfstoff er sich entschieden hat.

Doch möglicherweise hat der Kreml tatsächlich erkannt, dass die niedrige Impfbereitschaft in Russland ein Problem ist. Denn Putin rief die Bevölkerung vor ein paar Tagen dazu auf, sich unbedingt die Spritze setzen zu lassen. Damit man die Corona-Massnahmen bis Ende Sommer definitiv aufheben könne.

Echo der Zeit vom 30.03.2021, 18 Uhr

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