Zum Inhalt springen

Header

Audio
Nahost-Experte: «Israel ist im Dilemma»
Aus Echo der Zeit vom 10.10.2023. Bild: AP Photo/Ohad Zwigenberg
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 25 Sekunden.
Inhalt

Nach Angriff auf Israel Stehen wir vor einer Bodenoffensive im Gazastreifen?

Israel hat 300'000 Reservisten mobilisiert. «Was die Hamas erleben wird, wird hart und fürchterlich sein», sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Die Zeichen mehren sich, dass Israel in den Gazastreifen einmarschieren wird. Was eine solche Bodenoffensive bedeuten könnte, erklärt der Nahost-Experte Peter Lintl.

Peter Lintl

Peter Lintl

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der Politikwissenschaftler Peter Lintl ist bei der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) spezialisiert auf Israel und den Nahost-Konflikt.

SRF News: Stehen wir vor einer Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen?

Peter Lintl: Diese Anzeichen verdichten sich in der Tat. Bei einer solchen Bodenoffensive käme es zu Häuserkämpfen zwischen israelischen Soldaten und Hamas-Kämpfern. Erfahrungsgemäss kommt es dabei zu grossen Verlusten. Begleitet werden dürfte der Einmarsch von einer massiven Luftunterstützung der Israelis. Kommt es wirklich so weit, sind wohl tausende Tote zu befürchten.

«Möglichst viele Menschen ermorden»

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Reuters/Ammar Awad

Ein Hamas-Mitglied sagte der Nachrichtenagentur AP, sie seien überrascht gewesen, wie einfach sie am Samstagmorgen auf israelisches Gebiet vordringen konnten, und dass sie nicht von der israelischen Armee aufgehalten wurden. Deshalb sei der Angriff aus dem Ruder gelaufen. Das aber erscheint dem Nahost-Experten Peter Lintl wenig plausibel. Er sagt: «Selbst wenn die Hamas davon ausgegangen wäre, dass sie von der israelischen Armee aufgehalten würde – warum ist es dann zu solch massiver Gewalt gekommen, ohne dass die Hamas-Leute dazu gezwungen gewesen wären? Es scheint also tatsächlich das Ziel gewesen zu sein, möglichst viele Menschen zu ermorden.»

Die Hamas hat rund 150 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen entführt. Können diese im Zuge einer Bodenoffensive der Israelis befreit werden – oder geraten sie gerade erst recht in Gefahr?

Beides. Eines der Ziele der Offensive könnte tatsächlich sein, zumindest einige der Geiseln zu befreien. Zugleich hat die Hamas angekündigt, in einem solchen Fall die Geiseln zu töten – dieses Risiko ist sicher real.

So etwas darf sich aus Sicht Israels nie wiederholen.

Trotzdem muss Israel aber irgendwie auf den Terrorangriff reagieren, der die meisten Toten an einem einzigen Tag in der Geschichte Israels gefordert hat. So etwas darf sich aus Sicht Israels nie wiederholen. Deshalb ist für Israel derzeit die einzige Option, die Hamas derart zu schwächen, dass sie handlungsunfähig wird. Dafür muss man die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen zerschlagen. Ob das gelingen kann, wird man sehen.

Wie kann die Herrschaft der Hamas zerschlagen werden?

Ihre Bewaffnung, ihre Infrastruktur und ihre Anführer müssen eliminiert werden, sodass die Hamas nicht mehr in der Lage ist, Angriffe im Stil vom Wochenende durchzuführen. Die Frage ist, ob das gelingen kann – und was danach folgt. Will Israel militärisch im Gazastreifen präsent bleiben und ständig in Gefechte verwickelt sein? Oder soll eine Palästinenserbehörde installiert werden, die bei den Leuten aber kaum Legitimität hätte?

Ich halte es nicht für möglich, dass Israel zu einer dauerhaften Wiederbesetzung des Gazastreifens in der Lage wäre.

Könnte Israel den Gazastreifen tatsächlich wieder besetzen – es hatte seine Soldaten 2005 ja aus dem Gebiet abgezogen?

In der israelischen Regierung gibt es sicher Personen, die das gerne hätten. Doch dazu wäre dauerhaft ein immenser militärischer Aufwand nötig. Ich halte es nicht für möglich, dass Israel dazu in der Lage wäre.

Hunderte Tote auf beiden Seiten

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Keystone/Mohammed Saber

Im Zuge des Terroranschlags der radikal-islamischen Hamas in Israel sind laut israelischen Angaben seit Samstag insgesamt rund 900 Menschen getötet worden. Mehr als 2800 Menschen wurden in Israel verletzt. Hamas-Mitglieder entführten zudem rund 150 Menschen in den Gazastreifen. Die islamistische Gruppe wird von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestuft.

Als Reaktion auf den Anschlag greift Israels Luftwaffe Hamas-Stellungen im Gazastreifen an. Dabei starben laut dem Gesundheitsministerim in Gaza bislang rund 830 Menschen. 4250 Menschen seien verletzt worden. (sda)

Die Hamas musste wissen, dass Israel sehr heftig auf den Terrorangriff reagieren würde. Rechnete sie mit Unterstützung von aussen – der Hisbollah in Libanon oder von Iran?

Das ist schwierig zu sagen. Sicher ist: Jetzt ist das Überraschungsmoment für die Hisbollah vorbei, die Israelis haben sich inzwischen an der Nordgrenze gegen Libanon aufgestellt. Es scheint aber, dass die Hamas davon ausgeht, dass sie jede Reaktion Israels überleben kann – dass es Israel nicht gelingt, sie auszuschalten oder die Geiseln zurückzuholen.

Alles andere als eine immense Schwächung der Hamas durch die israelische Armee wäre eine grosse Überraschung.

Ob die Hamas das schafft, bezweifle ich. Denn Israel kann ein Überleben der Hamas kaum dulden. Deshalb wäre alles andere als eine immense Schwächung der Hamas durch die israelische Armee eine grosse Überraschung. Wir werden in den nächsten Monaten wohl einen zermürbenden Krieg sehen, in dem es genau um diese Frage geht.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Video
Israel bietet mehr als 300'000 Reservisten auf
Aus Tagesschau vom 10.10.2023.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 47 Sekunden.

Krieg im Nahen Osten

Box aufklappen Box zuklappen

Die Konflikte in Israel, im Westjordanland und im Gazastreifen halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

Echo der Zeit, 10.10.2023, 18:00 Uhr;

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel