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Nach Freispruch für Trump Historiker: «Republikaner müssen Desinformation entgegentreten»

Die negativen Folgen des Trumpismus zu beheben, werde eine ganze Generation beschäftigen, sagt US-Historiker Timothy Naftali. Das Impeachment sei erst der Anfang gewesen.

Auch wenn der Freispruch Donald Trumps von Anbeginn feststand, sei das Impeachment-Verfahren im Senat eine absolute Notwendigkeit gewesen, sagt Historiker Timothy Naftali. Denn: Vor Trump habe noch nie ein US-Präsident versucht, den friedlichen Machtwechsel zu verhindern.

Das Amtsenthebungsverfahren habe es ermöglicht, die Republikaner zu zwingen, sich mit den Taten Trumps, ihrem gescheiterten Idol, auseinanderzusetzen. Das habe bei einigen durchaus gewirkt. Aber viele hätten noch immer Angst vor der eigenen Wählerbasis, die sich von Trumps Lügen habe verführen lassen.

Es fehle noch an republikanischen Führungsfiguren, die öffentlich eingestehen, dass Trump die Partei in die falsche Richtung gelenkt habe.

Woodward, Naftali, Bradlee
Legende: Timothy Naftali (Mitte) ist der frühere Direktor der Richard-Nixon-Präsidentenbibliothek. Hier zusammen mit dem Washington-Post-Journalisten Bob Woodward und Chefredaktor Ben Bradlee, die den Watergate-Skandal aufdeckten. Imago/Archiv

Viele Republikaner möchten nun nach dem Freispruch am liebsten das Kapitel für beendet erklären und vorwärts schauen. Doch das beseitige die Ursachen der Gewalt vom 6. Januar nicht, so Naftali: Auslöser für die Radikalisierung von Trumps Anhängerschaft und deren Sturm auf das Kapitol seien die Desinformation, die Lügen des Präsidenten gewesen: nämlich, dass Trump durch Betrug um seinen Wahlsieg gebracht wurde.

Es droht Mythenbildung

Dem müssten die Republikaner nun ganz entschieden entgegentreten. Denn sonst gebe es wieder – wie nach dem Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert – Mythenbildung. Damals hätten die Politiker es zugelassen, dass in den Südstaaten der Mythos der «lost cause» Wurzeln schlagen konnte: Die falsche Überzeugung, dass nicht die Sklaverei die Ursache für den Bürgerkrieg war und die Anführer der abtrünnigen Südstaaten nicht Rassisten, sondern Freiheitskämpfer waren.

Trump-Mob im Kapitol
Legende: Chaos im Kapitol: Am 6. Januar drangen Trump-Anhänger in das Kapitol ein und hinterliessen eine Spur der Verwüstung. Fünf Menschen kamen bei dem gewaltsamen Sturm ums Leben. Reuters

Dieser Mythos, diese Desinformation, habe Jahrzehnte der Rassentrennung ermöglicht und wirke noch bis heute nach, sagt der Historiker: Ausdruck davon seien zum Beispiel die Kampffahnen der Konföderierten Südstaaten, die von Trump-Anhängern im Kapitol geschwenkt worden seien. Nun bestehe die Gefahr, dass sich in einem Teil der Bevölkerung ein neuer Mythos festsetze: die Lüge vom Wahlbetrug.

Republikaner müssen Trumps Lügen benennen

Wenn grosse Bevölkerungsgruppen die Ehrlichkeit der Wahlen in Zweifel ziehen, dann untergrabe dies den Glauben an die Demokratie, sagt Naftali. Es sei nun deshalb nun an den Republikanern, der Anhängerschaft Trumps im ganzen Land klar zu machen, dass ihr Idol sie angelogen hat. Denn solange die Menschen in unterschiedlichen Realitäten lebten, sei eine Debatte darüber, was am 6. Januar passiert sei, gar nicht möglich.

Derzeit erkennt der Historiker bei den Republikanern wenig Bereitschaft, sich dieser Aufgabe zu stellen. Und das mache ihm Sorgen: Die negativen Auswirkungen des Trumpismus zu beheben und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen wieder herzustellen, werde eine ganze Generation beschäftigen. Das Impeachment sei erst der Anfang dieser Arbeit gewesen, nicht dessen Ende.

Rendez-vous, 15.2.2021, 12:30 Uhr

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