Ein israelischer Angriff auf ein Spital im Gazastreifen tötete mindestens 20 Menschen, darunter fünf Medienschaffende. Valentin Rubin von «Reporter ohne Grenzen» erklärt im Gespräch, was der wiederholte Tod von Journalistinnen und Journalisten für die unabhängige Berichterstattung bedeutet.
SRF News: Wie verändert die in Kauf genommene Tötung von Medienschaffenden die unabhängige Berichterstattung aus Gaza?
Valentin Rubin: Das ist ein massiver Einschnitt in die unabhängige Berichterstattung in Gaza. Man muss bedenken: Einen Medienschaffenden zu töten ist die ultimative Form der Zensur. Und in der Frequenz, in der das in Gaza passiert, ist das sehr beunruhigend und ein massiver Einschnitt.
Die Situation im Gazastreifen für Medienschaffende ist absolut beispiellos.
Welche Rolle spielt die Angst, selbst Opfer von Angriffen zu werden, bei der Entscheidung, weiterhin aus Gaza zu berichten?
Die Journalistinnen und Journalisten in Gaza haben keine Wahl, als aus dem Gazastreifen zu berichten. Sie können nicht ausreisen, selbst wenn sie verletzt sind. Insofern sind sie diesem Risiko und dieser Angst ausgesetzt. Was wir bei Reporter ohne Grenzen aber auch hören, ist, dass die Medienschaffenden ihre Rolle als Journalist stolz wahrnehmen. Dennoch: Die Situation im Gazastreifen für Medienschaffende ist absolut beispiellos. Allein schon die schiere Anzahl an Getöteten, es sind über 200. Das sind mehr als in beiden Weltkriegen, im Jugoslawien- und im Vietnamkrieg zusammen. In weniger als zwei Jahren.
Wie bewertet «Reporter ohne Grenzen» den Vorwurf, Israel greife gezielt Journalistinnen und Journalisten an?
Wir selbst haben diesen Vorwurf bereits mehrfach an Israel herangetragen. Wir haben diese Fälle der getöteten Medienschaffenden dokumentiert, genauestens analysiert und identifiziert, wer dahintersteckt. In vielen, vielen Fällen kommen wir zu keinem anderen Schluss, als dass es sich um eine gezielte Tötung handeln muss.
Gehört das zum Berufsrisiko von Kriegsreporterinnen und Reportern dazu?
Während der Arbeit zu sterben, ist für keinen Journalisten ein akzeptables Risiko, weder in einem Krieg noch ausserhalb von einem Kriegsgebiet. Insofern ist der Vorwurf von Israel, dass es sich um Hamas-Angehörige gehandelt habe, oder dass es ein Angriff auf die Hamas war, in vielen Fällen nicht glaubwürdig belegbar.
Welche Gefahren entstehen für die internationale Öffentlichkeit, wenn kritische Stimmen zunehmend verstummen?
Wir alle, die internationale Öffentlichkeit, haben ein Recht auf glaubwürdige, unabhängige Information über das Geschehen in Kriegsgebieten. Und wenn das in dieser Weise, wie Israel es macht, kontrolliert wird, dann ist das nicht nur ein Angriff auf die Medienschaffenden, sondern auch eine Einschränkung unseres Rechts, informiert zu werden. Und das ist ein nicht akzeptabler Zustand.
Welche langfristigen Folgen erwarten Sie für den Journalismus im Nahen Osten?
In den palästinensischen Gebieten spielt sich eine Tragödie ab, im Gazastreifen, aber auch im Westjordanland. Wenn dann in Zukunft keine Medienschaffenden mehr vor Ort sind, dann hat das Auswirkungen auf die Berichterstattung über den Gazastreifen, das Westjordanland und über die gesamte Region hinweg. Es ist zu befürchten, dass, wenn die Verbrechen gegen die Medienschaffenden weiter straflos bleiben, das vielleicht auch in anderen Konfliktzonen zur Inspiration wird und dass das Vorgehen gegen Medienschaffende in ähnlicher Weise brutal und rücksichtslos geschieht.
Das Gespräch führte Can Külahcigil.