In keinem anderen Krieg sind so viele Journalisten und Journalistinnen umgekommen wie im Gazakrieg in den letzten zwei Jahren. Die überwiegende Mehrheit ist palästinensisch, getötet von der israelischen Armee. Diese spricht von versehentlichen Tötungen oder bezeichnet die Opfer als Hamas-Terroristen.
Noch nie ist der Staat so rabiat gegen Palästinenser vorgegangen wie in den letzten zwei Jahren.
Unter Generalverdacht stehen in Israel auch palästinensische Journalistinnen und Journalisten mit israelischer Staatsbürgerschaft. Dazu gehört der bei Nazareth lebende Radiojournalist Wadie Awawidah. Er ist für das arabischsprachige Publikum eine der bekanntesten Stimmen in Israel.
Wadie Awawidah, Anfang 60, empfängt uns am Wochenende bei sich zu Hause in Kafr Kanna, dem Städtchen, wo Jesus Wasser in Wein verwandelt haben soll – sein erstes Wunder. An Wunder glaubt der Journalist angesichts der Gewalt zwischen Juden und Arabern besonders in diesem Krieg nicht mehr.
«Noch nie ist der Staat so rabiat gegen Palästinenser vorgegangen wie in den letzten zwei Jahren: im Gazastreifen, im Westjordanland und auch gegen die palästinensische Minderheit hier in Israel», betont er.
Im Laufe seiner journalistischen Karriere hat er hebräische Bücher für ein arabisches Publikum zusammengefasst, um bei diesem Vorurteile gegenüber Israel abzubauen. Der Muslim ist ein ausgesprochener Kritiker des Islamismus und verurteilte den Hamas-Angriff auf Israel von 2023.
Razzia zum Fastenbrechen
Umso mehr erschrak er letztes Jahr, als bewaffnete Sicherheitskräfte sein Haus stürmten, als er mit der Familie beim Fastenbrechen zu Tisch sass. «Es war eine furchtbare Erfahrung, die Kinder weinten», erzählt Wadie Awawidah.
Auf die Frage an die Polizisten, ob sie in seinem Büro voller Bücher nach Drogen oder Waffen suchten, habe er keine Antwort erhalten, berichtet er. Später bekam er zu hören, die Sicherheitskräfte hätten womöglich die falsche Adresse erwischt.
Ich habe Angst, gewisse Dinge zu sagen. Das führt zu Selbstzensur.
Die Einschüchterungen hätten danach nicht aufgehört, so Wadie Awawidah. Anrufe vom Inlandgeheimdienst Shin Bet folgten. Dazu Bussenandrohungen von umgerechnet über 20'000 Franken gegen Medien für so genannt «verbotene» Wortwahl oder Berichterstattung.
«Ich habe Angst, gewisse Dinge zu sagen. Das führt zu Selbstzensur», so der Radiojournalist. Schon Worte des Mitgefühls mit getöteten Kindern in Gaza könnten den Geheimdienst auf den Plan rufen und zur Verhaftung führen. Umso mehr, wenn man die offiziellen israelischen Darstellungen der tödlichen Angriffe auf Medienleute hinterfrage.
Internationale Journalistenorganisationen haben Israels Regierung wiederholt wegen Einschränkung der Pressefreiheit gerügt und erst recht wegen der beispiellosen Anzahl getöteter Medienschaffender.
Ein eigener Journalistenverband
Obwohl das Wadie Awawidah kaum hilft – seinen Beruf aufgeben will er nicht. Zusammen mit anderen palästinensisch-israelischen Medienschaffenden will er jetzt einen eigenen Verband gründen, um weiterhin als eigenständige Stimme wahrgenommen zu werden.
Denn die Autonomiebehörde verbietet ihnen die Mitgliedschaft in der palästinensischen Journalistengewerkschaft. «Im israelischen Journalistenverband können wir nicht Mitglied sein, weil die Mehrheit den Krieg unterstützt oder sogar begrüsst, dass der Gazastreifen zu einem grossen Friedhof wird», so Wadie Awawidah.