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Neue Zeiten in Rumänien? Die tiefen Wurzeln der Korruption

Nach der krachenden Niederlage bei der Europawahl musste der Chef der Regierungspartei, Liviu Dragnea, wegen Korruption ins Gefängnis. In Alexandria, auf dem Land, bedauern das viele.

«Einsturzgefährdet» steht auf einem roten Schild beim Eingang zum B-Block, dem heruntergekommenen Plattenbau, in dem sich Gerghiu Nize ein Badezimmer mit sechs Familien teilt. «King» steht auf seiner Baseballmütze.

Gheorghe Nize zeigt auf das Warnschild am B-Block
Legende: Gheorghe Nize zeigt auf das Warnschild am B-Block. Seine Familie muss ausziehen. SRF/Roman Fillinger

Aber der König fühlt sich machtlos. «Wenn sie uns dort hinbringen, werden wir leben wie im Gefängnis», klagt er. Nize und seine Nachbarn sollen aus dem B-Block evakuiert werden. Dass dieser einsturzgefährdet ist, glauben sie nicht. Sie vermuten, ein Geschäftsmann wolle sich das Haus unter den Nagel reissen. Herauszufinden, ob das stimmt, sei unmöglich für sie, sagt Nize.

«Dafür sind wir zu unbedeutend. Das wissen nur die da oben.» Die da oben – das sind im Landkreis Teleorman die Politiker der PSD; jener Partei, die die kommunistische Arbeiterpartei des Diktators Nicolae Ceaucescu beerbt hat.

«Andere haben Schlimmeres verbrochen»

Ganz oben stand in Rumänien in den letzten Jahren Liviu Dragnea, Chef der PSD. In Teleorman war er lange Gouverneur und ist noch immer beliebt – trotz allem, auch im B-Block. Bascu Staniu ist 75 und trauert Ceaucescu nach.

Dank Dragnea habe er immerhin etwas mehr Rente. Dass dieser nun im Gefängnis sitzt, findet der Rentner ungerecht. Andere hätten viel Schlimmeres verbrochen. Sergiu Iordan sieht das anders. Im Café erinnert sich der Oppositionspolitiker mit einem Lächeln an die Verhaftung von Dragnea.

«Ich war todmüde. Aber den kaltgestellten Champagner habe ich geöffnet», erzählt Iordan. Dragnea verkörpere das System, in dem sich Politiker mit der Vergabe von Verwaltungsstellen und kleinen Zustüpfen Loyalität erkauften.

Nirgendwo wählen so viele PSD wie in den ärmsten Landkreisen. Bei der Europawahl war das nicht anders. Und doch ist Iordan überzeugt, dass nun auch hier ein neues Kapitel beginnt. Selbst viele PSD-Mitglieder seien erleichtert, dass Dragnea verhaftet wurde. Zuletzt sei es ihm nur noch darum gegangen, die Gesetze so umzuschreiben, dass er nicht ins Gefängnis muss.

«Dragnea hat schlecht kommuniziert»

Victor Dragusin zündet sich in seinem Büro eine Zigarette an. Er ist PSD-Mitglied, seit mehr als zehn Jahren Bürgermeister von Alexandria und ein guter Bekannter Dragneas. «In meinen Augen ist Dragnea ein Patriot, einer, der Gutes für Rumänien tat, aber schlecht kommuniziert hat», sagt er.

Klar sei es nicht auszuschliessen, dass sich Dragnea etwas habe zuschulden kommen lassen. «Wahrscheinlich hat er es mit den Eingriffen in die Gesetze tatsächlich übertrieben», räumt er ein.

«Korruption korrumpiert dich»: EIn Plakat an einem Amtsgebäude in Alexandria.
Legende: «Korruption korrumpiert dich»: Ein Plakat an einem Amtsgebäude in Alexandria. SRF/Roman Fillinger

Die Journalistin Carmen Dumitrescu hat eine ganze Reihe von Skandalen aufgedeckt, fast immer ging es ums Abzweigen öffentlicher Gelder. Dafür wurde sie jüngst zur mutigsten Rumänin des Jahres gekürt. Sie glaubt nicht, dass sich mit Dragneas Verhaftung viel ändert: «Das Netzwerk der Korruption funktioniert auch mit ihm im Gefängnis.» Seit Ceaucescus Sturz habe die Korruption so tiefe Wurzeln geschlagen, dass sie zur Mentalität gehöre.

«Die von der PSD fragen, wie es uns geht»

Ändern könne sich das nur, wenn die Opposition den Menschen am Rand der Gesellschaft besser zuhöre: «Wenn ich die Leute in den Dörfern frage, warum sie trotz all der Korruption PSD wählen, antworten sie: Weil die herkommen und uns fragen, wie es uns geht.» Nur Menschen, die sich machtlos fühlten, sähen über Korruption hinweg. Menschen zum Beispiel, die in baufälligen Plattenbauten wohnen.

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