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Olaf Scholz auf Europatour Stimmungstest für den neuen deutschen Kanzler

Besuche in Paris, Brüssel, Warschau und Rom: Innerhalb der ersten zwei Wochen als neuer deutscher Bundeskanzler hat Olaf Scholz bereits bei verschiedenen europäischen Regierungschefs vorbeigeschaut.

Beim Antrittsbesuch in Frankreich , als Olaf Scholz neben dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron stand, habe er sich sehr darauf konzentriert, nichts falsch zu machen, sagt «Welt»-Journalistin Claudia Kade. «Macron versuchte immer wieder, den Blickkontakt zu Scholz herzustellen, um zu demonstrieren: ‹Wir sind hier die neuen starken Männer in Europa.›»

Scholz habe das jedoch gar nicht gemerkt, weil er so starr in die Journalistenmenge geschaut habe. «Das war ein Sinnbild für Scholz' Bestreben, auf dem internationalen Parkett nicht auszugleiten.»

Inhaltlich schienen sich Scholz und Macron aber in weiten Teilen einig gewesen zu sein. Anders war das in Polen : Dort sorgte Scholz für einigen Unmut, als er sich gegen weitere Reparationszahlungen für den 2. Weltkrieg aussprach. Das sei an sich nicht ungewöhnlich, so Kade. «Das hat seine Vorgängerin Angela Merkel genauso gemacht.» Doch er habe lernen müssen, dass es als Bundeskanzler auf jeden Halbsatz ankomme, als er auch die EU-Zahlungen Deutschlands ins Spiel brachte.

Es ist selten, dass man Regierung und Opposition gleichermassen verärgert.
Autor: Claudia Kade Ressortleiterin Politik bei «Die Welt»

Er sagte als Begründung für seine Absage an Reparationszahlungen, Deutschland sei ja Nettozahler in der EU, und dieses Geld komme auch Polen zugute. «Das ist in Warschau sowohl bei der Regierung als auch bei der Opposition gar nicht gut angekommen», so Kade. «Und das ist selten, dass man Regierung und Opposition gleichermassen verärgert.»

Scholz war auch zu Gast bei der EU in Brüssel. Ein wichtiges Thema dort war der drohende Angriff Russlands auf die Ukraine. Er betonte die Unterstützung für die Ukraine. Offen liess er aber, ob Deutschland allenfalls die Gaspipeline Nord Stream 2, die schon bald Gas von Russland in die EU bringen soll, als Druckmittel gegen Russland verwenden will.

«Die Russland-Frage ist für Scholz tatsächlich im Moment eine der schwierigsten aussenpolitischen Fragen», sagt die «Welt»-Journalistin. Das liege daran, dass es in seiner Koalition widerstrebende Interessen gibt. «Einerseits ist die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock sehr hart im Kurs gegen Russland und sagt, Nordstream 2 dürfe gar nicht in Betrieb gehen, solange Russland sich so verhält, wie es das gerade tut.»

Scholz macht das, was er dann immer gerne macht, erst mal nichts.
Autor: Claudia Kade

Zum Anderen habe Scholz in der eigenen Partei, der SPD, wiederum Russland-freundliche Parteifreunde wie etwa Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Diese gegensätzlichen Interessen müsse Scholz zusammenhalten, so Kade. «Er kann nicht gleich die grosse Koalitionskrise in der Russland-Frage riskieren.» In der EU seien die Positionen ähnlich verteilt. «Es ist ein sehr diffiziles Feld und Scholz macht das, was er dann immer gerne macht, erst mal nichts.»

Zuletzt war Scholz in Italien zu Besuch. «Dabei konnte man ablesen, wo sich der Bruch mit der Merkel-Regierung vollziehen dürfte», erklärt die Politbeobachterin, nämlich bei der Neuordnung der EU-Finanzen; der Finanzströme von Nord nach Süd. Schon im SPD-Wahlkampf sei klar gewesen, dass Scholz kein Problem damit hätte, für die gemeinsame Kreditaufnahme die Maastricht-Kriterien ein bisschen aufzuweichen.

Claudia Kade

Ressortleiterin Politik bei der «Welt»

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Claudia Kade ist seit 2017 als Ressortleiterin Politik bei der deutschen Tageszeitung «Die Welt» tätig. Sie ist regelmässig Gast in Talkshows.

«Auch in Rom war das in Andeutungen zu hören», so Kade. «Aber er muss vorsichtig sein, denn er hat ja noch einen dritten Koalitionspartner, die FDP. Die stellt den Finanzminister und sieht die ganzen EU-Finanzfragen völlig anders.» Insgesamt habe Scholz bei seinen ersten Treffen seine oberste Priorität verfolgt, nämlich keine Fehler zu machen. «Er hat darauf verzichtet, grosse Impulse gleich am Anfang selbst zu setzen, sondern er hat erst einmal die Stimmungen in den Ländern aufgenommen.»

SRF 4 News, 21.12.2021, 06:45 Uhr ; 

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