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Patentschutz auf Impfstoffen Industrieländer sichern sich mehr Impfdosen, als sie brauchen

Eine globale Krise wie die Corona-Pandemie verlange globale Antworten, heisst es. Beim Impfstoff sind das leere Worte.

Schon zu Beginn der Corona-Pandemie, als ein Impfstoff noch nicht in Sicht war, hat Fatima Hassan, eine prominente Menschenrechtsanwältin aus Südafrika, vor dem gewarnt, was in ihrer Heimat als «Impf-Apartheid» bezeichnet wird. Eine Situation, in der der Zugang zu Impfungen davon abhängt, in welchem Land man lebt und wie viel Geld man hat.

«Es war zwar ermutigend, dass international in kürzester Zeit von Wissensaustausch, Zusammenarbeit und Solidarität die Rede war», sagt sie. «Trotzdem haben wir vor leeren Versprechungen gewarnt. Denn für einen fairen, gleichberechtigten Zugang zu Impfungen und Medikamenten braucht es schriftliche Garantien, die sich notfalls auch einklagen lassen.»

Auf Wohlwollen angewiesen

Stattdessen ist es bei Versprechungen geblieben. Es bleibt Ländern und Herstellern überlassen, Impfdosen zu spenden und medizinisches Know-how zu teilen. Die Konsequenz ist ein drastisches globales Ungleichgewicht. Während beispielsweise in der Schweiz schon über 10 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, sind es in Südafrika nur 0.5.

Neben Hamsterkäufen der Industriestaaten sei der Patentschutz dafür verantwortlich, sagt Hassan. «Wenn man einige dieser diagnostischen Verfahren, Behandlungen und Impfungen per Gesetz als öffentliches Gut betrachten würde, dann wären sie keine Ware mehr, auf die ein Monopol beansprucht werden kann.»

Vergleich mit HIV-Medikamenten

Hassan spricht aus Erfahrung. Sie ist die Gründerin der «Health Justice Initiative» und als Vorkämpferin für bezahlbare HIV-Medikamente bekannt. Auch beim Kampf gegen Aids ging es unter anderem um den Patentschutz.

«Offenbar hat nicht jeder gelernt, was passiert, wenn man Milliarden von Menschen lebensrettende Massnahmen verweigert», kritisiert Hassan. «Dabei hatten wir gedacht, dass die Lehren von damals beherzigt werden.» Noch immer blockierten eine Handvoll Staaten die Aussetzung des Patentschutzes. «Hätten sie zugestimmt, wären wir in einer anderen Lage.»

Frau mit Schild, Protest gegen Patente bei Impfstoffen
Legende: Die Forderungen von Südafrika und Indien nach einer Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe bleiben bei der Welthandelsorganisation WTO ungehört. Keystone

Die Mehrheit der Menschen in Ländern des globalen Südens kann nach heutigem Stand erst in ein paar Jahren geimpft werden. Mit einer Lockerung des Patentschutzes könnten viele Leben gerettet werden, sagt auch die Regierung Südafrikas.

Entsprechende Anträge wurden zwar abgelehnt, aber: «Die Empörung über Regierungen und Pharmakonzerne, die den Patentschutz verteidigen, wächst», sagt Hassan. Es gebe erste Zugeständnisse. «Einzelne Lizenzen werden freiwillig vergeben.» Doch das reiche noch nicht.

Profit wichtiger als Menschenleben

Profite würden schwerer wiegen als Menschenleben, kritisieren Aktivisten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor einem katastrophalen moralischen Versagen. Doch noch sei es nicht zu spät, um umzulenken, so Hassan.

«Die Covax-Initiative, die eigentlich für eine global gerechte Verteilung der Impfstoffe sorgen soll, wird bis Jahresende nur rund ein Viertel der Menschen im globalen Süden erreichen. Das ist lächerlich wenig. Dabei gibt es auch in unseren Ländern Unternehmen, die bei den Produktionsengpässen helfen könnten.» Dies aber eben nur, wenn man die Patente freigebe.

Der Streit um den Patentschutz lege eine Reihe struktureller Probleme offen. Es sei höchste Zeit, sich grundsätzlich damit auseinanderzusetzen, sagt Hassan. Gesundheit dürfe nicht mehr länger als Ware gelten. Sonst stehe die Welt bei der nächsten Pandemie wieder vor denselben Problemen.

Echo der Zeit, 26.04.2021, 18:00 Uhr

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