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Propaganda mit Khashoggi-Mord «Erdogan hat wohl den letzten grossen Trumpf gespielt»

Heute findet in einer grossen Istanbuler Moschee eine Trauerfeier für den ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi statt. Er war zuletzt vor 45 Tagen gesehen worden, als er in Istanbul die Botschaft Saudi-Arabiens betrat. Die von der Türkei mit den Ermittlungen verbundene Propagandaschlacht scheine nun allmählich zu versiegen, sagt Journalist Thomas Seibert in Istanbul.

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert verdiente sich seine journalistischen Sporen bei der «New York Times» und den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP, bevor er 1997 als freier Journalist in die Türkei ging. Nach einem kurzen Zwischenhalt als Berichterstatter in den USA kehrte er im Juni 2018 nach Istanbul zurück.

SRF News: Warum findet die Trauerfeier erst heute statt?

Thomas Seibert: Die Trauerfeier erfolgt auf Bestreben von Khashoggis türkischer Verlobter, die er in Istanbul heiraten wollte. Zuvor mussten die türkischen Behörden bestätigen, dass es keine sterblichen Überreste gibt, da die Leiche in einem Säurebad aufgelöst wurde. Jetzt haben die Angehörigen die Gewissheit.

Gestern forderte der saudische Generalstaatsanwalt die Todesstrafe für fünf der mutmasslichen Täter. Wie reagiert die Türkei?

Aus türkischer Sicht ist das alles ein Theaterspiel. Die Türken verlangen die Auslieferung der Verdächtigen und wollen sie vor Gericht stellen. Auch versucht die Türkei, das Schicksal Khashoggis zu internationalisieren. Man fordert eine internationale Untersuchung durch die UNO, um Saudi-Arabien und vor allem den Thronfolger Mohammed bin Salman politisch zu schwächen und vor dem Hintergrund der regionalen Konkurrenz das Beste herauszuholen.

Nach dem Verschwinden Khashoggis veröffentlichte die Türkei nach und nach Ermittlungsergebnisse. Kommt noch mehr?

Viel ist bald nicht mehr übrig, nachdem Präsident Erdogan kürzlich die Tonaufnahme von Khashoggis letzten Minuten freigab. Das war die letzte grosse Trumpfkarte im Propagandastreit. Viel Substanzielles hat Ankara wohl nicht mehr in der Hand.

Was kann die Türkei noch tun, nachdem die Forderung nach einer internationalen Untersuchung kein Gehör fand?

Der Fall Khashoggi soll in der Öffentlichkeit gehalten werden, um den Druck auf die Saudis aufrechtzuerhalten. Zudem haben die USA Sanktionen gegen 17 Verdächtige verhängt. Ansonsten dürfte es wohl keine neuen Enthüllungen aus der Türkei geben. Es scheint also nicht zu funktionieren, den saudischen Kronprinzen zu schwächen.

Laut dem US-Sender NBC erwägt Präsident Trump, den Prediger Fethulla Gülen an die Türkei auszuliefern. Was könnte das für eine Rolle spielen?

Bisher dementiert die Türkei eine Verbindung zwischen den beiden Fällen. Der TV-Bericht spricht von einer Art Tauschgeschäft, das geprüft worden sei: Die Auslieferung Gülens gegen Einstellung des türkischen Propagandafeuers gegen Saudi-Arabien. Ein solcher Deal wäre für die Türkei ein Erfolg. Ich bin aber sehr skeptisch, dass das zustande kommt, denn die rechtlichen Vorgaben in den USA für eine Auslieferung eines legal im Land lebenden Ausländers sind doch strikt.

Es wäre zudem zwar ein innenpolitischer Erfolg für Erdogan, aber international doch ein riesiger Imageschaden, wenn quasi mit Menschen gehandelt würde. Ich glaube nicht, dass sich Ankara auf ein solches direktes Geschäft einlassen würde.

Hat Erdogan letztlich unterschätzt, wie wichtig den meisten westlichen Staaten gute Beziehungen zu Saudi-Arabien sind.

Das ist richtig. In den ersten Wochen nach Khashoggis Tod hat sich die Türkei sehr geschickt verhalten, aber dann möglicherweise etwas zu hoch gepokert. Nicht nur die USA, sondern auch andere westliche Staaten wie Grossbritannien oder Frankreich haben kein Interesse an einer grossen Erschütterung Saudi-Arabiens.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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