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Keine Rede von Frieden in Ankara
Aus Tagesschau vom 04.04.2018.
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Russland-Iran-Türkei-Gipfel «Erdogan hat im Bündnis mit Putin schlechte Karten»

Zuletzt waren Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin und Hassan Rohani im November 2017 im russischen Schwarzmeerort Sotschi zusammengekommen. Gemeinsam suchten sie nach Wegen, wie die Gewalt in Syrien beendet werden kann.

Heute haben sich die Präsidenten der Türkei, Russlands und Irans wieder zu einem Syrien-Gipfel getroffen, dieses Mal in Ankara. «Es geht dabei um reine Machtpolitik», stellt ARD-Korrespondent Reinhard Baumgarten im Gespräch fest.

Reinhard Baumgarten

Reinhard Baumgarten

Journalist

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Reinhard Baumgarten war während mehrerer Jahre Nahost-Korrespondent der ARD in Istanbul. Zu seinen Berichtländern gehörte auch Iran. Inzwischen arbeitet er als Ausland-Redaktor beim SWR.

SRF News: Ist seit dem letzten Treffen in Sotschi irgend etwas in Richtung eines Friedens in Syrien geschehen?

Reinhard Baumgarten: In Sotschi waren sogenannte Sicherheitszonen beschlossen worden, in denen die Kämpfe hätten eingestellt werden sollen. Doch heute sind diese allesamt plattgemacht. Die Vereinbarung von Sotschi hat vor allem dem Regime von Machthaber Bashar al-Assad genutzt, indem die «Rebellen» stärker bekämpft und ihr Widerstand gebrochen wurde. So sind etwa in Ost-Ghuta östlich von Damaskus die Kämpfe praktisch beendet, die Gebäude in dem Gebiet praktisch vollständig zerstört. So ähnlich sieht es auch auch in den anderen Sicherheitszonen aus. Profitiert von dem Abkommen von Sotschi hat zudem auch die Türkei.

Glauben Sie, dass das neue Treffen, diesmal in der Türkei, einen Weg zum Frieden in Syrien aufzeigen kann?

Alles was dort läuft, ist reine Machtpolitik: Die Iraner haben sich in Syrien festgesetzt und wollen dort bleiben. Die Russen sind jetzt ebenfalls in Syrien; sie wollen eine wichtigere Rolle in der Region spielen und die Amerikaner hinausdrängen – US-Präsident Donald Trump scheint ihnen diesen Gefallen tun zu wollen.

Putin, Erdogan und Rohani sind Machtpolitiker, die in Syrien einzig und allein ihre Machtgelüste ausleben.

Hinzu kommt ein geradezu besessener türkischer Präsident Erdogan, der vor den Kurden in Nordsyrien Angst verbreitet. Er tut so, als sei das ganze Gebiet ein einziges grosses Terroristennest. Die drei Staatspräsidenten sind also Machtpolitiker, die in Syrien einzig und allein ihre Machtgelüste ausleben.

Rohani, Erdogan und Putin vor Flaggen der drei Länder Iran, Türkei und Russland.
Legende: Erdogan zählt auf Putin – doch der spielt wohl sein eigenes Spiel, wie ARD-Korrespondent Baumgarten argwöhnt. Reuters

Früher hiess es, Russland und Iran unterstützen im Syrienkrieg das Assad-Regime, die Türkei unterstützt die oppositionellen Gruppen. Stimmt das noch?

Nein, diese Aufstellung stimmt schon seit Jahren nicht mehr. So gibt es keine demokratisch gesinnten, bewaffneten Oppositionsgruppen mehr in Syrien. Der bewaffnete Widerstand gegen Assad setzt sich zu 90 bis 95 Prozent aus dschihadistisch-islamistischen Gruppen zusammen.

Die Türkei ist immer mehr zum Unterstützer von dschihadistischen Gruppen geworden.

Mittlerweile bietet sich die Türkei ihnen Sammelbecken an. Die Region Idlib im Nordwesten Syriens ist dabei, die «Rebellen» aus Ost-Ghuta aufzunehmen. Bei ihnen handelt es sich allesamt um islamistische und dschihadistische Gruppen, die mit Terrormilizen wie dem «Islamischen Staat», dem al-Kaida-Nachfolger al-Nusra oder anderen ähnlichen Gruppen verbandelt sind. Die Türkei ist in den letzten Jahren immer mehr zum Unterstützer dieser dschihadistischen Gruppen geworden.

Wie könnte die in letzter Zeit beobachtete Annäherung der Türkei an Russland den Syrienkrieg beeinflussen?

Erdogan hat bei Putin bloss das Einverständnis für seine Offensive gegen die Kurden in Nordsyrien und eine Ausdehnung des Einflusses Ankaras in der Region eingeholt. Das wurde offensichtlich, als sich die Russen aus Afrin zurückzogen und damit auch den Luftraum für die türkischen Angriffe auf die Kurdenstadt in Nordsyrien freigaben. Anders wäre es nicht möglich gewesen, dass die türkischen Truppen zusammen mit bis zu 20'000 dschihadistischen Kämpfern die Region Afrin hätten besetzen können.

Putin will die Türkei weiter von der Nato entfernen – oder sie sogar aus der Nato herauslösen.

Putin will mit seinem Vorgehen nicht nur die Amerikaner in Bedrängnis bringen und sie aus Syrien hinausdrängen. Er hofft wohl auch, die Türkei so weiter von der Nato entfernen zu können – oder sie sogar aus der Nato herauszulösen. Aus westlicher Sicht stellt sich zudem grundsätzlich die Frage, ob die Türkei den Grundwerten der Nato noch in irgend einer Weise entspricht. Die türkische Offensive in Syrien ist eindeutig ein Angriffskrieg – die Nato ist aber ein Verteidigungsbündnis.

Befindet sich das Nato-Land Türkei inzwischen gar am Gängelband der Russen?

Erdogan glaubt, dass er mit Putin seine Ziele besser erreichen kann. Dabei befindet sich der türkische Präsident in einem grossen historischen Irrtum. Das Osmanische Reich – und darauf bezieht sich Erdogan immer wieder – erlebte die grössten Gebietsverluste in seiner Geschichte immer wieder durch die Truppen des zaristischen Russlands. Die russischen Gelüste auf einen warmen Meereszugang – sei es in Pakistan, wie es im Afghanistan-Krieg Anfang der 1980er-Jahre angestrebt wurde oder in Istanbul, das die Russen Konstantinopel nennen – ist geschichtlich bewiesen. Erdogan wird im Bündnis mit Putin sehr schlechte Karten haben.

Das Gespräch führte Simon Leu.

Gemeinsame Syrien-Erklärung

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Nach dem Dreiertreffen in Ankara haben Rohani, Erdogan und Putin die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen, ihre Hilfe für Syrien zu auszweiten. Das gelte besonders für die UNO. Weiter hiess es in der Erklärung, die Hilfe für Syrien müsse ausgeweitet werden. Die drei Länder wollten stärker darauf hinwirken, dass humanitäre Hilfe Notleidende in sogenannten Deeskalationszonen erreiche.

Ungeachtet eigener Interventionen in Syrien heisst es in der Erklärung weiter, die drei Präsidenten lehnten alle Versuche ab, «unter dem Vorwand des Kampfes gegen Terrorismus neue Realitäten am Boden zu schaffen». Sie stünden gegen Versuche, die Souveränität und die territoriale Integrität Syriens zu unterlaufen.

Erdogan kündigt Wiederaufbau in Nordsyrien an

Weiter kündigte Erdogan an, im Norden Syriens in Kürze mit dem Wiederaufbau beginnen zu wollen. Das habe er seinen vorgeschlagen. Wladimir Putin sagte, beim Wiederaufbau solle es vor allem um die Infrastruktur gehen. Russische Unternehmen seien bereits aktiv an dieser Arbeit beteiligt. Details nannten die Staatschefs nicht.

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Wie weiter in Syrien?
aus Rendez-vous vom 04.04.2018. Bild: Keystone
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