Es ist grau und regnerisch bei 8 Grad Celsius. Vor dem Clayponds-Gemeindezentrum im Südewesten von London wartet ein Dutzend Leute geduldig vor der Tür. Die benachbarte «Fish & Chips»-Bude ist zu und vernagelt. In Grossbritannien herrscht immer noch Lockdown.
Die Quartierstrassen sind so leer, als wäre jeden Tag Sonntag. «Das ist nicht zum Aushalten», sagt James, der auf seine Impfung wartet. Er ist Wirt, sein Restaurant ist seit acht Monaten geschlossen. James hofft, dass mit der Impfung die Gäste bald zurückkehren können.
Schon 25 Millionen geimpft
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In Grossbritannien wird Altersgruppe um Altersgruppe geimpft. Derzeit sind die 50- bis 60-Jährigen dran, die Älteren sind bereits geimpft. Insgesamt haben bereits 25 Millionen Britinnen und Briten einen Piks erhalten. Das ist ein Drittel der Bevölkerung. Bis Ende Mai sollen alle über 40-Jährigen erstmalig geimpft sein. Grossbritannien setzt darauf, möglichst viele Menschen schon mal ein erstes Mal zu impfen und die zweite Impfung so lange wie möglich hinauszuzögern – nach den aktuellen Plänen soll diese rund zehn Wochen nach der Erstimpfung erfolgen. In den meisten anderen Ländern erfolgt die zweite Impfung nach vier Wochen.
Derzeit laufe in seinem Restaurant überhaupt nicht mehr, sagt James. «Vor der Pandemie bekochten wir am Wochenende fast immer Hochzeitsgesellschaften. Mittlerweile habe ich den Eindruck, die ganze Welt ist geschlossen und geht nie mehr auf», sagt der Beizer.
Zentral organisierte Impfungen
Die Leute, die sich vor dem Gemeindezentrum anstellen, wurden vom staatlichen Gesundheitsdienst (NHS) aufgeboten. Man musste nicht drängeln oder im Internet mühsam einen freien Termin suchen. Wenn die jeweilige Altersgruppe an der Reihe ist, flattert das Aufgebot automatisch in den Briefkasten.
Johnson hat sehr früh aufs Impfen gesetzt
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Die britische Regierung hat die Weichen für die rasche Impfung schon im Frühling 2020 gestellt: Damals hat man die Forschung mit der Industrie zusammengeführt und die Impfproduktion im eigenen Land unbürokratisch unterstützt und erleichtert. Auch hat man zusätzlich global Impfstoff eingekauft. Hinzu kommt, dass der staatliche Gesundheitsdienst NHS, der in normalen Zeiten eher als träge gilt und jeden Winter allein wegen der Grippe an seine Grenzen stösst, für einmal sehr hilfreich ist. Eine logistisch derart komplizierte Übung wie das Impfen von 66 Millionen Menschen ist zentral viel einfacher zu organisieren, als wenn föderalistisch in jedem Kanton ein eigener Weg gegangen wird – wie das in der Schweiz der Fall ist.
Wer seinen Zettel dabei und kein Fieber hat, wird von Jane vom NHS höflich ins Innere des Hauses gebeten. Dort muss man sich in sicherer Distanz aufreihen, wird dann an einen von vier Tischen gerufen und bekommt von einer Pflegefachfrau eine Spritze in den Arm.
Königin und Johnson gehen voran
Gespritzt wird der Impfstoff von Astra-Zeneca, der seit Tagen für Schlagzeilen sorgt. Wegen möglicher Gesundheitsrisiken wurde er in einigen europäischen Ländern vorübergehend nicht mehr verwendet.
Solche Bedenken scheint man hier nicht zu haben. Auf einem Merkblatt, wird man zwar informiert, dass dieser Impfstoff nur vorübergehend bewilligt wurde und nicht für den Markt bestimmt sei.
Keine Angst vor Astra-Zeneca-Impfung
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Führende britische Wissenschaftler haben die Britinnen und Briten überzeugt, dass das Risiko einer folgenschweren Covid-Erkrankung viel grösser ist, als jenes von Nebenwirkungen des Astra-Zeneca-Impfstoffs. So gab es nach den bislang rund 15 Millionen verimpften Astra-Zeneca-Dosen in Grossbritannien rund zehn Fälle von schweren Nebenwirkungen. Das ist im Einzelfall zwar tragisch, doch in einem Land mit bisher über 100'000 Corona-Toten eben doch das kleinere Risiko.
Aber selbst die Königin liess sich ja impfen und sagte, ausser einem Stich habe sie nichts gespürt. Und Premierminister Boris Johnson liess am Radio verlauten, er lasse sich explizit mit dem britischen Vakzin impfen.
Impfen und beten
Eine Frau, welche die Spritze am benachbarten Tisch eben erhalten hat, meint, manchmal müsse man einfach hoffen und beten. Auch der 60-jährigen Emily ist es ziemlich egal, welcher Impfstoff hier verabreicht wird.
Ihr einziger Wunsch ist, dass die Impfung vielleicht wieder ein bisschen Normalität in ihr Leben zurückbringt. «Je mehr Leute die Spritze erhalten, desto schneller ist das wahrscheinlich möglich», sagt sie.
Indien hat Lieferschwierigkeiten
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Trotz der reibungslosen Organisation der Impfungen kommt es jetzt auch in Grossbritannien zu Verzögerungen: Laut dem Gesundheitsminister wird eine grössere Lieferung an Impfstoff aus Indien erst verspätet oder gar nicht in Grossbritannien eintreffen. Offenbar benötigt das Herstellerland den Impfstoff jetzt selber, weil sich in Indien eine dritte Infektionswelle ankündigt. Das britische Impfprogramm wird sich verglichen mit anderen Ländern allerdings bloss auf hohem Niveau verlangsamen. Das Problem ist einzig, dass die meisten der geimpften Britinnen und Briten erst eine Impfdosis erhalten haben und jetzt nicht klar ist, ob der vorhandene Impfstoff auch für die zweite Dosis reichen wird.
Emily will im Park endlich wieder Menschen treffen, Vögel füttern, Tulpen pflanzen und die eigenen Kinder umarmen. So scheint es vielen Menschen an diesem Morgen zu gehen. Die meisten lächeln, wenn sie das Gemeindezentrum durch den Notausgang verlassen. Draussen herrscht immer noch kein Sonnenschein, aber wenigstens ein Hoffnungsschimmer.
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