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Schreckgespenst Atomkrieg Experte: «Taktische Kernwaffen verhelfen Putin nicht zum Sieg»

Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hat dem Westen vorgeworfen, durch Waffenlieferungen an die Ukraine die Gefahr eines Atomkriegs heraufzubeschwören. Damit schürt er die Angst, dass Moskau im Krieg gegen die Ukraine taktische Kernwaffen einsetzen könnte. Doch was sind taktische Atomwaffen überhaupt? Welche Ziele könnten sie zerstören? Und hat Russland wirklich ein Interesse, sie einzusetzen? SRF News hat mit einem Experten gesprochen.

Alexander Bollfrass

Sicherheitsexperte an der ETH Zürich

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Dr. Alexander K. Bollfrass ist Senior Researcher am Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich. Bollfrass arbeitete als Wissenschafter für Nuklearwaffenpolitik an der Harvard University und bei der Arms Control Association und dem Stimson Center in Washington. Er hat einen Doktortitel der Princeton University (Bild: ETHZ).

SRF News: Was sind taktische Atomwaffen? Wie funktionieren sie?

Alexander Bollfrass: Taktische Kernwaffen funktionieren nach demselben Prinzip wie strategische Kernwaffen: der explosiven Freisetzung von Energie. Obwohl taktische Waffen in der Regel so gebaut sind, dass sie im Verhältnis kleinere Explosionen erzeugen, sind sie dennoch ungefähr so zerstörerisch wie die Bombe von Hiroshima.

Worin besteht der Unterschied zu strategischen Kernwaffen bzw. zu Interkontinentalraketen?

Der Hauptunterschied zwischen strategischen und taktischen Atomwaffen ist ihr Trägersystem. Strategische Raketen zum Beispiel treten aus der Atmosphäre aus und können jeden Ort der Welt erreichen. Oder sie können von Bomberflugzeugen in den Luftraum des Gegners getragen werden.

Von wo könnten taktische Atomwaffen abgefeuert werden?

Russische taktische Atomwaffen könnten von einem Schiff auf See, vom Boden in Russland oder von einem Flugzeug aus abgefeuert werden. Russland schickt bereits Raketen in die Ukraine, dasselbe wäre mit einem nuklear bestückten Sprengkopf möglich.

Taktische Kernwaffen sind ungefähr so zerstörerisch wie die Bombe von Hiroshima.

Welche Ziele könnte die russische Armee damit ansteuern? Auf welche Distanz?

Kein Teil der Ukraine befindet sich ausserhalb der Reichweite russischer Atomwaffen. Allerdings gibt es nicht viele gute militärische Ziele für einen russischen Schlag. Im äusserst unwahrscheinlichen Fall eines russischen taktischen Nuklearschlags würde dieser wahrscheinlich auf einen ukrainischen Flugplatz, ein Kommando- und Kontrollzentrum oder einen wichtigen logistischen Standort erfolgen.

Welche Zerstörungskraft könnten die Waffen haben – für spezifische Ziele, die Menschen und die Umwelt in der Umgebung?

Das ist schwer zu beantworten. Es kommt auf das Ziel und die Wetterbedingungen an. Eine einzelne taktische Atomwaffe, die in der Ukraine detoniert, könnte hauptsächlich lokale Auswirkungen haben, aber das ist nicht garantiert.

Wer kann den Befehl zum Zünden erteilen?

Letztlich wäre es Putins Entscheidung, ob er taktische Nuklearsprengköpfe aus ihren Lagern entlässt und sie auf Schiffen, Flugzeugen und Raketen platziert. Er könnte dann die Abschussbefugnisse an lokale Befehlshaber delegieren oder die Befugnis behalten.

Wie viele solche Waffen hat Russland?

Die beste offene Schätzung der Federal of American Scientists geht von knapp 2000 russischen taktischen Atomsprengköpfen aus.

Glauben Sie, Russland würde taktische Kernwaffen einsetzen – oder ist das nur eine Drohung?

Es ist eine ernst zu nehmende Drohung, aber ich glaube nicht, dass Putin den Einsatz von Atomwaffen anordnen wird.

Der Einsatz von Atomwaffen würde einer unkontrollierten Eskalation mit dem Westen Tür und Tor öffnen.

Warum glauben Sie dies nicht?

Aus militärischer Sicht werden taktische Atomwaffen Putin nicht dabei helfen, die Ukrainer zu besiegen. Aus politischer Sicht würde der Einsatz von Atomwaffen einer unkontrollierten Eskalation mit dem Westen Tür und Tor öffnen und Russland international weiter isolieren. Daher ist es meine Hoffnung und Einschätzung, dass Putin in seinem Krieg keinerlei Atomwaffen einsetzen wird.

Das schriftliche Interview führte Christine Spiess.

Tagesschau, 26.04.2022, 12:45 Uhr ; 

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