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Tag der Unabhängigkeit Die Ukrainer sind stolz und besorgt

Vor genau dreieinhalb Jahren, am 24. Februar 2022, startete Russland seinen Angriffskrieg. Gleichzeitig wird in der Ukraine der Unabhängigkeitstag begangen. Er erinnert an die Loslösung von der Sowjetunion vor 34 Jahren. Doch die militärische Situation bietet derzeit wenig Grund zum Feiern. SRF-Korrespondent David Nauer ist derzeit vor Ort und ordnet ein.

David Nauer

Ukraine- und Russland-Korrespondent

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David Nauer ist Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF TV. Von 2016 bis 2021 war er als Radio-Korrespondent in Russland tätig. Zuvor war er Russland-Korrespondent des «Tages-Anzeigers». Nauer reist seit Beginn des russischen Angriffskriegs regelmässig in die Ukraine.

Hier finden Sie weitere Artikel von David Nauer und Informationen zu seiner Person.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung am Unabhängigkeitstag?

Es ist eine Mischung aus Stolz und Sorge. Die Ukrainer sind stolz, dass sie diesen Unabhängigkeitstag überhaupt noch feiern können. Das Land kämpft ja seit 3.5 Jahren um seine Existenz als unabhängige Nation und hält sich bis jetzt erfolgreich. Sie sind aber auch besorgt, weil der Krieg weitergeht – und ein Ende nicht absehbar ist.

SRF-Korrespondent berichtet aus Lviv

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David Nauer befindet sich derzeit in Lviv. Dort sei in den vergangenen Tagen vom Krieg direkt nichts zu spüren. «Es gab keine direkten Angriffe, nicht mal Luftalarm.» Die Stadt lebe auf den ersten Blick ein «normales Leben». Vor allem in der Altstadt sei viel los, die Restaurants sind voll, am Abend herrsche in den Bars lustiges Treiben. «Aber dennoch ist der Krieg im Hintergrund stets präsent.» Erstens könne theoretisch jederzeit eine Rakete geflogen kommen – zweitens gebe es fast täglich Beerdigungen von gefallenen Soldaten in der Stadt. «Ich kenne den städtischen Soldatenfriedhof noch von Beginn des Krieges, da waren da vielleicht 20 Gräber – jetzt ist es ein Gräberfeld, das sich gefühlt endlos hinzieht.» Und es werde Tag für Tag grösser.

Was haben die zwei Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin und mit Selenski sowie den europäischen Spitzen in der Ukraine ausgelöst?

Sie haben bei einigen Leuten für einen kurzen Moment ein Fünkchen Hoffnung ausgelöst. Hoffnung, dass dieser Krieg vielleicht doch in absehbarer Zeit endet. Immerhin hat sich Trump ganz freundlich mit Selenski unterhalten; man hatte das Gefühl, Amerikaner, Europäer und Ukrainer ziehen an einem Strick und es gebe zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wirklich ernsthafte Bemühungen, den Krieg zu beenden. Allerdings ist dieser Mini-Anflug von Optimismus schon wieder fast verfolgen.

In der Ostukraine vermeldet Russland immer wieder die Eroberung kleinerer Ortschaften. Wie wahrscheinlich ist es, dass Moskaus Truppen dort der entscheidende Durchbruch gelingt?

Das ist schwer zu sagen. Es hat in letzter Zeit ein paar aus ukrainischer Sicht besorgniserregende Ereignisse gegeben an der Front. Vor allem haben die Russen unweit der Stadt Pokrowosk die ukrainischen Linien durchbrochen und sind relativ weit vorgestossen. Hauptgrund war offenbar, dass die Ukrainer schlicht nicht genug Soldaten hatten, um den Abschnitt zu halten. Inzwischen ist es zwar den Verteidigern gelungen, diesen Durchbruch zu stoppen. Aber dennoch hat man das Gefühl, dass die ukrainische Front zerbröseln könnte. 

Gleichzeitig muss man auch sagen: Ich war vor einem Jahr in Pokrowsk, damals wurden gerade alle Zivilisten evakuiert, weil die Russen vor der Stadt standen. Doch den Russen ist es bis jetzt nicht gelungen, Pokrowsk einzunehmen – die ukrainische Armee hält die Stadt immer noch. So gesehen ist die russische Offensive im Osten bisher eigentlich ein Flop. 

Wie blickt man in der Ukraine in die Zukunft: Wird noch mit einer baldigen Waffenruhe oder sogar mit einem Ende des Krieges gerechnet?

Nein, damit rechnet niemand mehr. Die Russen haben in den letzten Tagen noch einmal klargemacht, dass sie nicht an einem raschen Ende des Krieges interessiert sind.

Das Gespräch führte Matthias Kündig.

Info3, 24.08.2025, 17:00 Uhr ; 

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