Das Treffen zwischen Donald Trump und Wolodimir Selenski war nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Europa wichtig. Die Spitzen aller wichtigen europäischen Länder sind Selenski in Washington zur Seite gestanden. Constanze Stelzenmüller ist Sicherheitsexpertin und Direktorin des Europa-Centers beim US-Thinktank Brookings Institution. Sie ordnet die Zusammenkunft ein.
SRF News: Wie ist der Gipfel aus europäischer Sicht gelaufen?
Constanze Stelzenmüller: Nach dem Treffen in Alaska, das zu Recht als Punktsieg für Putin empfunden wurde, ist es gut, dass es dieses zweite Treffen gegeben hat. Es gab keine erzwungene Gebietsabtretung, keine Demütigung Selenskis oder der Europäer. Insgesamt haben die Ukraine und die Europäer etwas Zeit gewonnen und konnten Trump und einen Teil des Schadens, der am Freitag entstanden ist, einfangen.
Was heisst das konkret?
Donald Trump ist jemand, der schnell die Seiten wechselt und von sich glaubt, er nehme eine gewisse Distanz zwischen den Russen und den Ukrainern ein. Wir erinnern uns sicherlich noch an diesen ersten Besuch von Selenski im Oval Office, als Trump und US-Vizepräsident Vance Selenski beschimpft haben. Auch die US-Presse hat ihn beschimpft. Das gab es diesmal nicht.
Ganz einfach: Ohne Waffenruhe haben die Russen die Freiheit, weiter zu bombardieren.
Warum hält Europa so explizit an einer Waffenruhe fest?
Ganz einfach: Ohne Waffenruhe haben die Russen die Freiheit, weiter zu bombardieren. Die Russen sind nicht unbesiegbar, sie stehen auch nicht kurz vor dem Durchbruch. Aber sie richten enormen Schaden an. Eine Waffenruhe würde beiden Seiten, aber vor allem den Ukrainern, eine Atempause geben.
Es gibt ja das schlechte Beispiel des Minsker Abkommens von 2014 nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Dieses Abkommen ist jeden Tag von den Russen gebrochen worden. In dem Jahrzehnt danach sind 10'000 Menschen in den Kampfgebieten in der Ukraine gestorben, grösstenteils Ukrainer.
Trump sagt, die USA wollten für Sicherheitsgarantien sorgen. Es klingt bei Trump aber eher danach, dass die europäischen Staaten diese Garantien leisten sollen. Wie ist das einzuordnen?
Ja, es war die Rede von Artikel-5-ähnlichen Garantien. Artikel 5 ist die Beistandsverpflichtung des NATO-Vertrags. Ich halte das für leere Worthülsen, die Trump bekanntlich nicht im technischen Sinne verwendet. Daran sollte man sich nicht allzu lange aufhalten. Die Europäer denken seit Monaten über drei verschiedene Modelle nach.
Die beiden letzten würden allerdings riskieren, von den Russen als Geiseln genommen zu werden. Ich glaube, alle drei Optionen sind nicht realistisch. Darum bleibt es wohl bei dem bekannten Modell, über das wir schon seit Monaten reden: die Ukraine bis an die Zähne zu bewaffnen und dafür Waffen bei den USA zu kaufen.
Die Europäer könnten die russischen Zentralbankvermögen, die zum grössten Teil in europäischen Institutionen liegen, konfiszieren.
Auch vorstellbar ist eine europäische Unterstützung mit Waffen und Ausbildern hinter der Frontlinie. Und die Europäer haben noch andere Mittel: Sie könnten die russischen Zentralbankvermögen, die zum grössten Teil in europäischen Institutionen liegen, konfiszieren. Auch das sind Drohmittel, die wir noch nicht ausgereizt haben.
Was lässt sich über das Verhältnis zwischen den USA und Europa sagen?
Nach dem Treffen von Trump und Putin in Alaska habe ich befürchtet, dass es zu einem Bruch im transatlantischen Bündnis kommen könnte. Doch die Ukrainer und die Europäer haben die Nerven behalten. Beim Treffen war zwar alles sehr fragil, aber es war zum Glück keine Katastrophe – das heisst schon sehr viel.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.