Bei der Militärparade zum Tag des Sieges 2023 rollte nur ein einziger Kampfpanzer über den Roten Platz, wo in Vorjahren Dutzende zu sehen waren. Der reduzierte Umzug zum wichtigsten Feiertag im System Putin stand vor einem Jahr symbolisch für Russlands Mühen an der ukrainischen Front und für die Sackgasse, die die sogenannte «Spezialoperation» zu sein schien.
Selbstsicherer Putin
Auch 2024 fanden die Feierlichkeiten in abgespeckter Form statt, auch heuer war der einzige zur Schau gestellte Panzer derjenige aus dem Museum, der die Parade anführte. Doch die Stimmung im Kreml ist dieses Jahr eine andere. Weil die westliche Unterstützung der Ukraine ins Straucheln geraten ist, macht die russische Armee wieder kleine, aber stetige Geländegewinne. Putin hält weiterhin am Ziel fest, die Ukraine wieder zu einem Vasallen Russlands zu machen, das macht er in seinen öffentlichen Auftritten klar. Und sein Kalkül, der Westen werde Kiew früher oder später fallenlassen, scheint so nah wie noch nie seit Beginn des Krieges.
Entsprechend gab sich Putin selbstsicher und herausfordernd in seiner Rede zum diesjährigen Feiertag. Er wetterte gegen die «koloniale» und «revanchistische» Politik der «westlichen Elite», lobte die «Helden der Spezialoperation» und drohte erneut mit seinen Atomwaffen. Russland werde alles tun, um globalen Konflikt zu vermeiden, sagte er. Doch die strategischen Streitkräfte – das Nukleararsenal – seien stets kampfbereit.
Propaganda wandelt sich
Putins Erzählung zum Angriffskrieg gegen das Nachbarland hat sich inzwischen eingependelt. Die kurze, erfolgreiche «Spezialoperation» musste nach Rückschlägen an der Front zum epochalen Kampf gegen die geballte Kraft des Westens umgedeutet werden. Was vor einem Jahr noch als Debakel im Informationskrieg erschien, passt Putin inzwischen. Mit der Darstellung, Russland wehre sich gegen die aggressiven USA und ihre Verbündeten, kann der Kreml davon ablenken, dass er eigentlich einen imperialen Eroberungskrieg führt. Er kann USA-kritische Stimmen aus aller Welt von seinen Argumenten überzeugen. Und er kann seinem Volk erzählen, es gehe wie im Zweiten Weltkrieg darum, die Existenz Russlands zu verteidigen.
Dazu dient der Tag des Sieges im heutigen Russland in erster Linie. Putin glaubt, mit dem Krieg gegen die Ukraine sein Vermächtnis zu schmieden. Die Verbreitung der aktuellen Propaganda geht vor, das Gedenken an die Opfer des Kampfes gegen Nazi-Deutschland ist zweitrangig, ja sogar gefährlich. Denn wie im letzten Jahr fehlte in vielen Städten Russlands noch eine Tradition am diesjährigen Feiertag: Der Umzug des «unsterblichen Regiments», bei dem einfache Leute Bilder ihrer in Kriegen gefallenen Angehörigen zeigen. Die Organisatoren sprachen von «Sicherheitsbedenken». Doch eine Veranschaulichung, wie viele Russen in der Ukraine gefallen sind, braucht Putin an seinem Feiertag nicht.