Zum Inhalt springen

Header

Audio
«Die USA haben keinen Blanko-Scheck zur Gewaltanwendung»
Aus Echo der Zeit vom 06.01.2020. Bild: zvg
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 14 Sekunden.
Inhalt

Tötung von iranischem General «Vergeltung ist nie völkerrechtskonform»

Die Tötung des hochrangigen iranischen Generals Soleimani hält die Welt in Atem. War dieser Angriff der USA ein Verstoss gegen das Völkerrecht? Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich, sagt, es komme darauf an, ob es sich dabei um Selbstverteidigung handelt. Vergeltungsschläge seien aber grundsätzlich nicht erlaubt.

Oliver Diggelmann

Oliver Diggelmann

Professor für Völkerrecht

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

OIiver Diggelmann lehrt an der Universität Zürich Völkerrecht, Öffentlichkeitsrecht und Staatsphilosophie. Neben Aufenthalten an Universitäten in Grossbritannien, den USA, Deutschland und Ungarn, war er persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR.

SRF News: Iran spricht von einem Akt des Staatsterrorismus, US-Präsident Donald Trump sei ein Terrorist. Was ist an diesem Vorwurf dran?

Oliver Diggelmann: Gemeint ist nicht Terrorismus im herkömmlichen Sinn, sondern dass sich die US-Regierung jenseits des internationalen Rechts bewege. Das muss man aber näher anschauen, denn hört man sich die Begründungen an, argumentiert die US-Regierung durchaus völkerrechtlich.

Durch diese Tat habe das Leben von US-Bürgern geschützt werden können, hiess es. Legitimiert präventive Selbstverteidigung die Gewalt?

Unter bestimmten Umständen, ja. Eine klassische Form zulässiger präventiver Selbstverteidigung ist Israels Angriff auf Ägypten und Syrien im Sechstagekrieg 1967. Die ägyptischen und syrischen Flugzeugmotoren liefen damals praktisch schon, es war nur noch eine Frage von Stunden bis zum Angriff. Die USA wollen nun ein weitergehendes Selbstverteidigungsrecht.

Bereits die Entstehung einer grossen Gefahr zu verhindern, also nicht bloss den Angriff abzuwehren, ist etwas anderes.

Doch bereits die Entstehung einer grossen Gefahr zu verhindern, also nicht bloss den Angriff abzuwehren, ist etwas anderes. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Doktrin der «preemptive Strikes», die keineswegs neu ist. Man denke an den Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak 2003. Vom Irak ging damals auch keine unmittelbare Angriffsgefahr aus.

Die USA argumentieren auch mit Vergeltung. Aus ihrer Sicht haben sie einen Terroristen umgebracht. Wann ist Vergeltung völkerrechtskonform?

Die Antwort ist hier ganz einfach, nämlich nie. Im Rahmen der Sicherheitsarchitektur der UNO-Charta ist einerseits Selbstverteidigung in ganz engem Rahmen erlaubt. Andererseits ist Gewaltanwendung dann zulässig, wenn der Sicherheitsrat sie autorisiert. Ein Beispiel ist der Einsatz von Luftstreitkräften im libyschen Bürgerkrieg im Jahr 2011.

Die USA haben im Irak Truppen stationiert. Es gibt also eine grundsätzliche Zustimmung zu militärischen Aktionen der USA in dem Land. Fällt darunter auch die Tötung von Soleimani?

Die Antwort ist auch hier klar: Nein. Die Truppen sind zur Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates im Land und nicht des Iran respektive der mit Iran alliierten Milizverbände. Die USA haben mit der Erlaubnis zur Stationierung keinen Blankoscheck zur Gewaltanwendung erhalten.

Nato fordert Zurückhaltung

Box aufklappen Box zuklappen

Die Nato hat zu grösster Zurückhaltung aufgerufen. Der Iran müsse jede Gewalt und Provokation unterlassen, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einer Botschafter-Sitzung des Nordatlantikrats in Brüssel.

Alle Nato-Staaten seien sich einig, dass der Iran nie eine Atomwaffe besitzen dürfe. Darüber hinaus seien alle Staaten des Bündnisses besorgt wegen der jüngsten «destabilisierenden Aktivitäten» des Irans in der Region.

Auf die Frage, ob er Verständnis für den US-Angriff habe, sagte Stoltenberg: «Dies ist eine US-Entscheidung, nicht der globalen Koalition (gegen den IS) oder der Nato.»

Die USA drohen Irak mit Sanktionen, sollte das Land die US-Truppen aus ausweisen. Kann er das oder darf Irak das Mandat beenden?

Trump hat diese Drohung vergleichsweise unspezifisch vertwittert. Doch einerseits darf der Irak die Erlaubnis zurücknehmen. Und andererseits haben die USA durchaus legale Möglichkeiten, den Irak mit Sanktionen zu treffen, etwa indem sie Handelspartner des Irak von den US-Märkten ausschliessen.

Die Zerstörung wertvoller Kulturstätten ist nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts, sondern sogar ein Kriegsverbrechen.

Trump warnte, sollte Teheran zurückschlagen, werden die USA 52 Ziele im Iran angreifen, darunter wichtige zivile Kulturstätten. Ist das zulässig?

Die Zerstörung wertvoller Kulturstätten ist nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts, sondern sogar ein Kriegsverbrechen.

Und die Drohung damit ist auch schon ein Verstoss?

Die Androhung von Gewalt ist ebenfalls eine Verletzung des Völkerrechts. Sie ist mit dem Gewaltverbot der UNO-Charta nicht vereinbar.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel