Präsident Donald Trump prägt die US-Aussenpolitik immer deutlicher – und bricht mit Tabus. Das geplante Treffen mit Wladimir Putin in Helsinki ist ein solcher Tabubruch. Aber auch sein ruppiger Umgang mit den Nato-Alliierten löst bei Washingtons Establishment Unbehagen aus.
Ein Experte, der die Vorgänge von Chicago aus beobachtet, ist der US-Politologe John Mearsheimer. Er war von Anfang an gegen Russland-Sanktionen. Vor der sich abzeichnenden Trump-Doktrin warnt er dennoch – und zwar vehement.
SRF News: Sie gelten als Kritiker der US-Sanktionspolitik gegen Russland. Halten Sie das Treffen zwischen Trump und Putin also für eine gute Idee?
John Mearsheimer: Ja. Ich finde es dumm, wenn die USA mit Russland nicht auskommen. Und obwohl ich Trumps Aussenpolitik gar nicht unterstütze: In der Hinsicht hat er Recht. Wir haben ein vitales Interesse daran, uns mit Moskau zu verständigen und über diverse Themen zu sprechen, die uns alle angehen. Auch die Europäer.
In Europa betrachtet man Trumps Schritte auf Russland zu mit Skepsis.
Es ist ja kein Entweder-Oder. Die USA können zugleich mit Russland und mit den Europäern auskommen. Das war in den 90er- und auch in den Nullerjahren so. Die Europäer haben vor etwas anderem Angst. Sie befürchten, dass Trump sie im Stich lässt. Dass er die Nato verlässt, die dann auseinanderbrechen würde. Dass Trump sich mit Putin trifft, wird als Indiz für seine fehlende Begeisterung für die Nato gelesen.
Warum bringt Trump europäischen Partnern so wenig Respekt entgegen?
Trump ist ein «Bully», ein Tyrann. Wenn er Schwäche spürt, nutzt er sie aus. Und offensichtlich denkt er, die europäischen Führungsfiguren seien schwach. Sie haben sich ja auch lange genug vor den USA demütig verbeugt. Und deshalb ist es leicht für Trump, sie herumzuschubsen. So funktionieren Bullys.
Trump fühlt sich auch einfach wohl in der Gegenwart autoritärer Führer wie Putin und Xi Jinping.
Was ist eigentlich das Ziel des Treffens mit Putin in Helsinki?
Trump will die Beziehung zu den Russen reparieren, weil das seiner Meinung nach im nationalen Interesse der USA liegt. Das halte ich wie gesagt für richtig. Aber er fühlt sich auch einfach wohl in der Gegenwart autoritärer Führer wie Putin und Xi Jinping. Auch das erklärt, warum er nach Helsinki fliegt.
Das heisst, es wird dort eher nicht um konkrete Themen gehen?
Ich wäre überrascht, wenn das Treffen konkrete Resultate bringen würde. Die beiden werden nett miteinander plaudern und der Welt zeigen, dass sie sich mögen und dass sie die gegenseitigen Beziehungen verbessern wollen.
Kann Trump die gegen Russland verhängten Sanktionen aufweichen?
Noch nicht. Der Kongress hat geahnt, dass Trump das tun möchte. Seit 2017 gibt es ein Gesetz, das die Regierung dazu zwingt, strengere Sanktionen umzusetzen. Aber Trump wird alles versuchen, um die Sanktionen zu lockern. Der Widerstand seiner Gegner wird ihn darin nur bestärken.
Trump gewann die Wahlen mit einer radikalen Agenda, und nun scheint er sich frei zu fühlen, sie umzusetzen.
Das gilt auch für die Handelszölle. Wie weit er gehen kann, wird sich bei den Kongresswahlen im Herbst zeigen – vor allem dann, wenn die Demokraten die Mehrheit in einer oder der anderen Kammer zurückgewinnen sollten.
Überrascht Sie Trumps radikale Aussen- und Handelspolitik?
Man muss sich an den Wahlkampf erinnern. Der Kandidat Trump versprach, im Falle seiner Wahl die liberale Weltordnung zu zerstören. Und das heisst:
- Wir werden nicht länger Demokratie verbreiten auf der Welt.
- Wir haben keine Mühe mehr, uns mit autoritären Führern zu treffen.
- Wir werden Druck auf internationale Organisationen ausüben.
Trump mag nicht nur die Nato nicht. Er hat auch etwas gegen die EU, die WTO, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds, Nafta und andere multilaterale Handelsbündnisse. Kurz: Er mag überhaupt keine Institutionen. Und die sind natürlich die Basis der liberalen Weltordnung. Trump gewann die Wahlen mit einer radikalen Agenda, und nun scheint er sich frei zu fühlen, sie umzusetzen.
Wie viel Schaden kann Trump der liberalen Weltordnung zufügen?
Das kommt sehr darauf an, ob er 2020 wiedergewählt wird. Falls ja, wird die Nato nach acht Regierungsjahren kaum mehr intakt sein. Falls nicht, werden das transatlantische Verhältnis und die internationalen Institutionen trotzdem leiden. Das Schadenspotential ist gross nach vier Jahren Trump, aber wie wird es nach acht Jahren aussehen? Ich kann nur sagen: Aufgepasst!
Das Gespräch führte USA-Korrespondentin Isabelle Jacobi.